Ausgeblüht: Kriminalroman (Psycho-Krimi) (German Edition)
Urteil war entscheidend für das Überleben Anderer. Die Worte der Ärztin schienen ihm jetzt, in dieser angenehmen Stimmung, plausibel, und er beschloss, aufzustehen, hinaus zu gehen, und das Formular für die Freigabe von Saskias Organen zu unterschreiben. Sein schwereloser Zustand hatte seine Ängste in Luft aufgelöst, und er beschloss zudem, Saskia noch einmal zu sehen, ein letztes Mal, um sich ordnungsg emäß von ihr zu verabschieden.
Albert entfernte die Decke, stieg von dem erhöhten Krankenhausbett und verließ den Raum. Zielstrebig ging er auf die Intensivstation zu und klingelte erneut.
„Lassen Sie mich zu meiner Frau. Es muss sein, ich möchte ihr Adieu sagen, und ich möchte die Organspende freigeben.“
Die Krankenschwester widersprach ihm nicht, ging einen Schritt zu r Seite, und während Albert sich Saskia näherte, piepste sie schnell die Oberärztin an. Albert stand nun direkt vor seiner Frau, ganz fest, ganz ruhig, und wollte sie nicht erkennen. Das war nicht sie. Aufgedunsen das Gesicht, geschwollen die Augenlider und Wangen, ausgetrocknet und blass die Lippen, die Haut, an der ein paar Haarsträhnen klebten, gräulich und verschwitzt.
Irritiert fragte er in den Raum. „Wer ist das?“
Die Krankenschwester trat vorsichtig an seine Seite, um ihn im Notfall zu stützen.
„Das ist Ihre Frau.“
Feindselige Gedanken kehrten in sein Innerstes zurück. Die unfassbare und grausame Realität hatte ihn wieder eingeholt, und daran konnte auch seine verklärte Stimmungslage nichts ändern. Saskias entstelltes Gesicht und ausweglose Situation offerierte ihren Betrug, den sie an ihm begangen hatte. Die Demütigung hielt an, bis in den Tod, das war ihm gewiss. Seit Stunden, seit Jahren steckte er Hieb auf Hieb ein und eine Unverschämtheit nach der anderen. Sie hatte ihn zum gehörnten Ehemann stilisiert, und dieser skandalöse Abgang, ihr unwürdiger Anblick, war der Gipfel ihrer Dreistigkeit. Ohne seine Erlaubnis war sie davongeschlichen. Geist- und seelenlos lag sie da vor ihm, so jämmerlich, so hässlich, so abscheulich entstellt. Am liebsten hätte er sie für diese Frechheit geohrfeigt. Der einzige kümmerliche Triumph, der ihm blieb, war alleine die Tatsache, dass er den Zeitpunkt entscheiden würde, wann und wie ihr Körper die Erde verlässt. Ihre hochmütige Unverschämtheit, mit der sie sich ihm präsentierte, war der alleinige Grund, warum er niemals bereit wäre, mit seinem Geld sie künstlich am Leben zu halten, auch wenn er sie dann endlich alleine für sich hätte. Albert trennte sich von allen Gefühlen, schlüpfte in die Rolle, die er am besten beherrschte, die des Geschäftsmannes, drehte sich zur Krankenschwester und fällte sein Urteil, schnell und hart.
„Ich möchte sie nicht berühren.“
„Sie müssen das nicht.“
„Gut, dann möchte ich jetzt das Formular zur Freigabe der Organe unterschreiben.“
Ohne jede Regung verließ er den Raum.
„Vielleicht sollten Sie noch das zweite Testergebnis abwarten und morgen entscheiden?“
„Ich diskutiere nicht mit Ihnen. Wo ist das Formular?“
Die Schwester, der Pfleger, schauten ihn beide verunsichert an. Dann schubste er sie leicht in die Rippen, und die Schwester reichte Albert ein Blatt Papier.
Er las es nicht, er nahm einen Stift und unterschrieb. In wenigen Sekunden hatte er auch die weitere Vorgehensweise für sich entschieden und verkündete sie wie bei einem Geschäftsmeeting.
„Wann stellen Sie die Geräte ab?“
„Das wird noch cirka drei Tage dauern. Sie werden natürlich rechtzeitig informiert. Damit Sie auch ihre Familien informieren können, falls noch jemand Abschied nehmen möchte.“
„Kommt gar nicht in Frage. Weitere Besuche und der Leichenbeschau sind untersagt. Anfragen lehnen Sie bitte ab und belästigen mich nicht damit.
Ich habe beschlossen, dass meine Frau in Berlin beerdigt wird. Das ist besser für alle Beteiligten. Nur für meine Tochter muss ich eine Lösung finden, damit sie das Grab ihrer Mutter besuchen kann. Wir werden sie einäschern. Ich will meiner Tochter den Anblick ersparen, wie der Sarg in die Gruft gelassen wird. Wir machen das im engsten Familienkreis, auch die Urnenbestattung. Ich fahre jetzt nach Hause und werde Ihre Sachen zusammenräumen und alles in Ordnung bringen.“
Er reichte jedem der beiden ein fürstliches Trinkgeld, bedankte sich für ihr Engagement und verließ das Krankenhaus, bevor d ie Oberärztin erschienen war. Seine Verabschiedung war in zehn Minuten
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