Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt
aus sah, war irgendwann Holländisch gewesen.
Die Verbindungstür zum nächsten Wagen ging auf. Grenzbeamte. Zwei Niederländer und zwei Deutsche, die sich leise auf Englisch unterhielten, während sie die Sitze entlanggingen und die Passagiere musterten.
Markus griff in die Reisetasche und holte sein Tagebuch mit dem Metalleinband heraus. In der trüben Wagenbeleuchtung waren die Ziffern des Kombinationsschlosses kaum zu erkennen, er brauchte mehrere Versuche, bis er es offen hatte. Es war tatsächlich einmal vom Hersteller als Tagebuch gedacht gewesen, aber nun klaffte mitten im Block der blass linierten Seiten ein rechteckiges Loch, das Markus sorgsam mit einer Rasierklinge ausgeschnitten hatte. Hundert-Euro-Scheine lagen darin, achttausend Euro insgesamt: der letzte Rest des Geldes, das er von seinem Vater geerbt hatte. Außerdem ein Reisepass und ein Führerschein. Beides Doppel.
Sich einen zweiten Führerschein ausstellen zu lassen war weiter kein Problem; man musste nur behaupten, den alten verloren zu haben. Bei Reisepässen war das schon schwieriger. Jemand hatte ihm einmal erzählt, man könne zwei Pässe bekommen, wenn man glaubhaft versichere, man wolle nach Israel und außerdem in ein arabisches Land reisen: Da einem das gern die Einreise verweigert, wenn man ein israelisches Visum im Pass hat, stellt einem die Meldebehörde auf Antrag einen zweiten Pass aus.
Das hatte er ausprobieren müssen, und siehe da, es hatte geklappt. Davon war er so begeistert gewesen, dass er sich dieses, wie er es bei sich genannt hatte, Notausgangspäckchen zusammengestellt hatte. War auch schon eine Weile her, der Rappel. Er hatte beinahe vergessen gehabt, dass er es überhaupt besaß. Er fragte sich flüchtig, wo wohl sein anderer Pass sein mochte. Auf jeden Fall waren in dem jede Menge arabischer Stempel. Dieser hier dagegen war noch unberührt, allerdings auch nur noch sieben Monate gültig. Reichte gerade für das, was er vorhatte.
Die Beamten interessierten sich nicht für ihn und seinen Pass. Sie kontrollierten eine ältere, dunkelhäutige Frau und einen heruntergekommen wirkenden, mageren Mann mit ungepflegtem Bart, der bald danach ausstieg.
Kurz nach Mitternacht kam er im Bahnhof Rotterdam Centraal an. Das Bahnhofshotel hatte noch Zimmer frei; zum Glück, denn er war müde und fühlte sich halb tot. Er hatte die letzten Wochen zu lange gelegen, war alles andere als fit.
Den Gedanken, dass er sich vielleicht zu früh davongemacht haben könnte, schob er beiseite.
Auch hier wollte niemand einen Ausweis sehen. Einen Meldezettel musste er ausfüllen, und aus einem Impuls heraus schrieb er CHARLES TAGGARD in das Feld Name . Es war Absicht. Ein Signal. Obwohl es vermutlich niemand wahrnehmen würde.
Im Zimmer holte er sein Mobiltelefon hervor und tätigte den letzten, den heikelsten aller Anrufe, die zu tätigen waren. Die ganze Reise über hatte er sich Worte und Argumente zurechtgelegt, das Gespräch ein gutes Dutzend Mal in Gedanken geführt.
Doch nun meldete sich unter der Nummer niemand mehr. Damit hatte er nicht gerechnet. Er wusste nicht, was das zu bedeuten hatte, aber etwas Gutes war es garantiert nicht.
Kapitel 22
Vergangenheit
M arkus erwachte von der Durchsage des Piloten, sie würden in zwanzig Minuten landen. Verwirrt registrierte er, dass er nackt war, dass er in einem zerwühlten Bett lag, verheddert mit Amy-Lee, die ebenfalls nackt war und außerdem nach Sex roch. Dann fielen ihm die Einzelheiten wieder ein, nach und nach. So ähnlich musste es sein, wenn man aus einem Koma erwachte.
Ein Flugzeug? Ein fliegendes Hotelzimmer war das, eines der Luxusklasse. Er spähte aus dem Fenster, das sich kalt anfühlte, sah Wolken und Berge und hatte keine Ahnung, wo sie waren.
»Komm, wir müssen uns anziehen!« Amy-Lee sprang auf, lachte, wirkte überdreht. »Sonst wird’s peinlich …«
Es gab tatsächlich eine Dusche. Und gewärmte Handtücher. Alles ein bisschen eng, und schnell musste es auch gehen, aber als die Maschine tiefer ging, waren sie sauber und angezogen und saßen ordentlich angeschnallt auf ihren Sesseln. Wer später das zerwühlte Bett aufräumen und sich dabei seine Gedanken machen würde, schien Amy-Lee nicht zu kümmern.
In einer der glattesten Landungen, die Markus je erlebt hatte, setzten sie auf, auf einer schmalen Landebahn mitten im Nirgendwo. Ringsum war nur Graslandschaft, abgesehen von ein paar beschaulich wirkenden Gebäuden am Rand der Piste. Aber immerhin, sie rollten
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