Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt
Wenn das stimmt, was Anstätter sagt, dann steuern wir auf die absolute Katastrophe zu.«
Dorothea lauschte auf den Klang dieser Worte. Die Landschaft draußen schien auf seltsame Weise immer grauer zu werden.
»Nicht darüber nachdenken …«, sagte sie. »Vielleicht war das der Fehler.«
So saßen sie also in der VIP -Lounge des Frankfurter Flughafens. Mandhur hielt ein großes Stofftier mit seltsam dicken Füßen umklammert, das die Schwestern auf der Station ihm zum Abschied geschenkt hatten. Wasimah trug eine Ledertasche mit den Medikamenten, die Dr. Rugland ihnen mitgegeben hatte, zusammen mit ausführlichen Anweisungen und Ratschlägen. Sie war nicht bereit gewesen, diese Tasche mit dem Gepäck aufzugeben. Gepäck, hatte sie erklärt, ginge verloren, und bis es wieder auftauche, könne ihr Sohn bereits erstickt sein.
Sie trug immer noch ihr Kopftuch. Offenbar dachte sie nicht daran, den Schleier wieder anzulegen. In Marokko würde sie ihn auch nicht brauchen.
»Der Westen hat uns unterwandert und korrumpiert«, erklärte Abu Jabr voller Bitterkeit. »Die Kreuzfahrer mögen damals gescheitert sein, die amerikanischen Kaufleute mit ihrem Geld sind es nicht. Sie haben uns unsere Moral abgekauft, unseren Glauben –«
Er schrak zusammen, als Wasimah neben ihm mit einem geradezu inbrünstigen Seufzen ausrief: »Abu, bitte – ich kann’s nicht mehr hören!«
»Wasimah!«
Sie schloss die Augen und sagte: »Ich. Kann’s. Nicht. Mehr. Hören.« Dann öffnete sie die Augen wieder und sah ihn wild an. »Ich kann es nicht mehr hören, wie wir Araber uns in einem fort Leid tun. Wie wir immer, immer schnell mit Erklärungen bei der Hand sind, warum andere an allem schuld sind. Ja, die Kreuzzüge. Klar, die waren eine Katastrophe, eine Schweinerei ersten Ranges – aber, Abu, das ist tausend Jahre her. Tausend Jahre. Das taugt nicht als Begründung dafür, dass wir heute nichts mehr auf die Reihe kriegen.«
»Nichts mehr auf die Reihe … Weib, was redest du?«
»Versucht einfach mal, in Riyadh einen Handwerker zu finden, dann wisst Ihr, was ich meine. Selbst wenn man einen kriegt, ist es ein Pakistani, kein Araber.« Sie machte eine Handbewegung, als wolle sie das alles beiseite wischen. »Wir kontrollieren das Öl, trotzdem sind wir machtlos. Wir sind untereinander zerstritten. Wir müssen uns von den Vereinten Nationen einen Bericht gefallen lassen, wonach wir in unserer Bildung immer weiter hinter dem Rest der Welt zurückfallen, und wir können nicht einmal etwas dagegen sagen, denn es stimmt. Als Mohammed – Gott segne ihn und schenke ihm Heil – die Schrift empfing, war Europa ein dunkler, blutiger Kontinent, und in Amerika rannten die Indianer mit Steinspeeren hinter Bisons her. In der Blütezeit des arabischen Reiches, zu Zeiten von Gestalten wie Saladin, Al-Biruni oder Ibn Hazm, da waren die arabischen Städte Hochburgen der Kultur und Gelehrsamkeit, war kein Ort ohne Bibliothek, war Arabien das Licht der Freiheit und Toleranz in einer barbarischen Welt. Niemand hätte damals ernsthaft geglaubt, dass Europa je wieder von Bedeutung sein würde.«
Sie klang wie eine Universitätsdozentin. Abu Jabr erkannte erschüttert, dass seine Schwiegertochter eine Gelehrte war.
»Wisst Ihr, was den Unterschied ausgemacht hat? Die Europäer haben gelernt. Von uns haben sie die Grundlagen der Medizin gelernt, der Astronomie, der Mathematik. Sie nennen ihre Zahlen bis auf den heutigen Tag ›arabische‹, obwohl sie längst nicht mehr so aussehen. Sie sprechen immer noch von Algebra , von Algorithmus , von Ziffern und so weiter – alles arabische Wörter. Die meisten helleren Sterne am Himmel tragen immer noch die Namen, die arabische Astronomen ihnen gegeben haben. Sie haben von uns gelernt, versteht Ihr, von uns und anderen, und sie haben das, was sie gelernt haben, weiterentwickelt, während wir Araber stehen geblieben sind. Wir haben uns nie für irgendetwas interessiert, das wir von den Europäern hätten lernen können. Seit tausend Jahren schmoren wir im eigenen Saft. Und wenn heute ein Araber den Nobelpreis bekommt, ist er garantiert amerikanischer Staatsbürger. Wir –«
Wasimah hielt erschrocken inne, schlug die Hände vor den Mund und sah ihn mit großen Augen an. »Verzeiht, Abu«, stieß sie hervor. »Ich wollte Euch gegenüber nicht unehrerbietig auftreten; vergebt mir. Allah ist mein Zeuge, ich verehre Euch, Abu …«
»Schon gut«, sagte Abu Jabr leise. »Du hast ja Recht. Schweigen wir
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