Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt
Bundesstraße spaziert. Waren richtig viele Leute unterwegs. Fand ich toll.«
Erinnerungen stiegen in Dorothea auf. »Mein Vater hat die B14 immer als die Strafe des Schicksals dafür bezeichnet, dass Gottlieb Daimler in Cannstatt den Viertaktmotor erfunden hat. Die lief ganz bei uns in der Nähe, und es war oft so viel Verkehr, dass du kaum Luft gekriegt hast.« Die Gespräche bei Tisch, die oft in Vorträge ihres Vaters ausgeartet waren. Über die Geschichte der Technik. Darüber, wie die Menschen die Welt zerstörten. »Ich weiß noch, wie mein Vater uns von Bertha Benz erzählt hat und wie sie die erste wirkliche Autofahrt unternommen hat. 1888 , von Mannheim nach Pforzheim. Ich war so stolz, dass es eine Frau gewesen ist, die das gewagt hat.« Erinnerungen … »Sie musste das Benzin unterwegs flaschenweise in Apotheken kaufen. Es gab ja noch keine Tankstellen. Benzin hat man nur als Reinigungsmittel benutzt.«
Eine Weile herrschte sinnende Stille, während ihr Auto, ein perfektionierter Nachfahre jener ersten motorgetriebenen Kutschen, über eine breite, solide Straße rollte, wie es sie damals auch noch nicht gegeben hatte.
»Die Welt hat sich seither ganz schön verändert«, meinte Werner.
Dorothea nickte. »Und alles nur, weil das Erdöl da war.«
Ein Wagen überholte sie, mit irrwitziger Geschwindigkeit fahrend.
»Wenn Anstätter Recht hat, gibt es solche Raser jedenfalls bald auch nicht mehr«, grollte Werner. »Wäre kein Fehler.«
Er hing diesem Gedanken eine Weile nach. »Wir müssen uns noch mal anschauen, ob man in Sachen Isolierung bei unserem Haus nicht doch was machen kann. Ich meine, wenn das Heizöl gravierend teurer wird … Wir könnten uns von deinem Bruder eine Solaranlage installieren lassen, fürs Schwimmbad zum Beispiel. So wie in der Klinik, in der Markus war. Und so groß wie dort ist unser Pool ja bei weitem nicht, da müsste für den Rest des Hauses auch was abfallen.«
Bloß, dass sie sich das zur Zeit nicht leisten konnten, nicht einmal zu dem Vorzugspreis, den Frieder ihnen natürlich machen würde. Und wenn alles teurer wurde … Dorothea dachte an ihren Laden. Damit war es dann auch vorbei. Den musste sie schließen, sobald es ging.
»Wenn das Benzin teurer wird«, räsonierte Werner, »dann sind die Straßen vielleicht bald nicht mehr so voll. Und wenn man überlegt, dass heutzutage jeder Joghurtbecher über tausend Kilometer herumkutschiert wird, ehe er im Laden steht … Das muss ja eigentlich auch nicht sein. Oder dass Konserven von einem Ende Europas zum anderen gefahren werden, nur um die Etiketten in einem Billiglohnland draufkleben zu lassen. Das ist doch Wahnsinn.« Er grinste. »Uns kann es sowieso egal sein, ich tanke ja in der Firma, wo es keinen Cent kostet …«
Dorothea wandte den Kopf und betrachtete Werner mit einem Gefühl vollkommener Irrealität. Als sei das alles ein böser Traum. Das hatte er eben nicht gesagt, oder? Sie hatte nicht einen Mann geheiratet, der angesichts einer solchen Gefahr nur bis zu seiner eigenen Nasenspitze dachte?
Doch. Er hatte es gesagt. Er meinte es sogar.
»Werner Utz«, sagte sie. »Ist das alles, was dir dazu einfällt? Wenn das Öl wirklich ausgeht, ich meine, wenn es wirklich zu Ende geht damit, und die ganze Welt ist darauf angewiesen – das kannst du doch nicht abtun mit ›Ich tank ja in der Firma‹. Die kann es auch nicht herzaubern, wenn es keines mehr gibt, Himmel!«
»Na ja, schon …«, murmelte Werner unbehaglich.
»Überleg doch nur, was alles aus Erdöl hergestellt wird. Plastik. Die ganzen Verpackungen. Praktisch alles, was man im Supermarkt kaufen kann, ist in irgendeine Folie, eine Schale, was weiß ich eingepackt, und die ist immer aus Plastik. Julians Vesperbrote tue ich ihm jeden Tag in eine Plastiktüte. Und wenn alles teurer wird, dann werden auch Autos teurer. Teure Autos, teures Benzin, das heißt, die Leute werden nicht mehr so viele Autos kaufen. Und dann? Woher soll dein Gehalt kommen, zum Beispiel?«
Werner war blass geworden. »Scheiße«, murmelte er. »Scheiße, ja, du hast Recht. So habe ich das noch gar nicht gesehen. Ich könnte meinen Job verlieren.«
Stumm fuhren sie weiter, Kilometer um Kilometer. Angst schien sich im Inneren des Fahrzeugs auszubreiten wie ein schlechter Geruch. Die Tanknadel sank; es sah aus wie ein schlechtes Omen.
»In Deutschland hängt jeder zweite Arbeitsplatz an der Automobilindustrie«, sagte Werner irgendwann. »Ich darf gar nicht darüber nachdenken.
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