Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt
blind man sich darauf verlassen hatte, dass die Ölimporte stets reichlich und problemlos fließen würden. Man besaß keine Reserven. Man hatte keine Informationen über vorhandene Lagerbestände. Und man hatte keine wirklichen Alternativen. Die Wirtschaft war inzwischen vom Öl abhängig.
Es war ein böses Erwachen. Obwohl nur wenig Öl fehlte, es fehlte eben, und das trieb die Preise in die Höhe. Hatte das Öl bis Ende 1970 relativ stabil 1 , 90 Dollar pro Barrel gekostet, hatte die OPEC den Preis zunächst auf drei Dollar erhöht und kurz vor Beginn des Embargos auf fünf. Bis Anfang 1974 erhöhte sich der Ölpreis jedoch bis auf 11 , 65 Dollar pro Barrel.
In den Jahren 1974 und 1975 kam es weltweit zum steilsten Absturz gewerblicher Aktivitäten seit dem Krieg. Lebensmittel und Konsumgüter wurden rasant teurer, Firmen gingen pleite, Banken brachen zusammen, und ganze Branchen wie Stahl, Schiffsbau und Chemie rutschten in eine Depression, aus der sie sich so schnell nicht wieder erholen sollten. In Deutschland verloren unmittelbar durch die Ölkrise etwa eine halbe Million Menschen ihre Arbeit. Etliche bis dahin weitgehend unbekannte Begriffe wie Kurzarbeit , Staatsverschuldung und Arbeitslosenrate wurden in der Folge Teil des allgemeinen Sprachschatzes.
Am schlimmsten traf Faisals »Ölschwert« Länder, die an dem Konflikt überhaupt nicht beteiligt waren: Entwicklungsländer wie Indien, die Philippinen, Thailand, ganz Afrika und Lateinamerika. Der Preisanstieg des Erdöls erstickte die vielversprechenden Ansätze in Landwirtschaft und Industrieentwicklung. Die Teuerung bei Düngemitteln, Baustahl und chemischen Produkten trieb die Länder zurück in die Misere, aus der sie gerade begonnen hatten, sich herauszuarbeiten.
Die Ölkrise führte zu Reaktionen der Industriestaaten, die sich ihrer Abhängigkeit bewusst geworden waren.
Erstens begannen Anstrengungen, weitere Ölvorkommen anderswo zu erschließen – was in vielen Fällen gerade durch die gestiegenen Ölpreise erst rentabel wurde. Die größten derartigen Projekte waren die Offshoreförderung in der Nordsee und vor Alaska.
Zweitens begann man, Alternativen zu schaffen. Wesentlichstes Element hiervon war der massive Ausbau der Kernenergie. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland unter Bundeskanzler Helmut Schmid beschloss ein Atomprogramm, das vorsah, bis 1985 mindestens 45 Prozent der Elektrizität aus Kernkraftwerken zu gewinnen. Spanien, Italien und Frankreich legten ähnliche Programme auf, wobei das französische noch ehrgeiziger als das deutsche war und auch mit größerer Entschiedenheit umgesetzt wurde.
Drittens beschloss man, Ölreserven anzulegen.
1974
A m 18 . November des auf das Embargo folgenden Jahres setzten die Vertreter der sechzehn wichtigsten Industrienationen ihre Unterschriften unter das International Energy Program , einer Vereinbarung, die zum Ziel hatte, Beeinträchtigungen durch vorübergehende Schwierigkeiten mit der Ölversorgung zu vermeiden. Wichtigste Maßnahme hierfür war die Verpflichtung jedes Landes, Ölvorräte für sechzig Tage ohne Importe vorzuhalten, ein Level, das man wenige Jahre später auf neunzig Tage erhöhte. Ferner wurde eine Behörde eingerichtet, die International Energy Agency IE A, die ihren Sitz in der Rue de la Fédération in Paris hat und ein weltweites Informationssystem unterhält, um über die vorhandenen Reserven sowie drohende Gefahren für die Energieversorgung auf dem Laufenden zu sein.
Die größte Einzelreserve dieses Systems und überhaupt der größte Vorrat an regierungseigenem Öl für Notfälle befindet sich natürlich in den USA . Es handelt sich um die Strategic Petroleum Reserve ( SP R ) , die in vier Salzstöcken lagert, und zwar in Bryan Mound und Big Hill in Texas sowie in West Hackberry und Bayou Choctaw in Louisiana. Hier wurden durch Ausspülen des Salzes Speicherkavernen geschaffen, die so groß sind, dass jede einzelne mühelos den Chicago Sears Tower aufnehmen könnte – und 62 solcher Speicher gibt es, alle gefüllt mit Öl. Es ist genug Öl, um die Verpflichtung gegenüber der IEA zu erfüllen und darüber hinaus noch genügend Reserven für die nationale Verteidigung zu haben.
Das Notfallsystem der IEA wurde bisher, abgesehen von Tests und routinemäßigen Überholungen, erst zweimal beansprucht: das erste Mal 1991 während des Golfkriegs, am Tag des Beginns der Desert Storm genannten Angriffe auf den Irak, und das zweite Mal im September 2005 ,
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