Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt
das so weiterging mit dem Öl und dem Strom.
In der Mitte stand ein weißer Küchentisch mit vier Stühlen darum herum. Richtig klassisch. Erinnerungen stiegen in ihr auf. Ihre Großmutter hatte auch so einen Tisch gehabt. Sie erinnerte sich nicht an viel, aber sie sah noch vor sich, wie sie an so einem Tisch gesessen und wie Oma eine Glasschüssel mit Schokoladenpudding vor sie hingestellt hatte …
»So, und jetzt holst du dir das nötige Handwerkszeug aus der Schublade«, hatte sie gesagt. Das Besteck hatte sie damit gemeint, und Dorothea hatte lachen müssen. Weiße Haare hatte sie gehabt, zum Dutt hochgesteckt. Und ein goldenes Kreuz an einem Kettchen um den Hals. Und blaue Augen.
Hatte dieser Tisch auch eine Schublade? Tatsächlich. Dorothea zog sie auf, aber es war kein Besteck darin, sondern ein uralt aussehendes Notizbuch. Weiter nichts.
Ulkig. Was das wohl war? Das Kassenbuch vielleicht. Sie holte es behutsam heraus und schlug es auf.
Es war kein Kassenbuch. Es war ein Handbuch, wie man einen Laden führte. Die gesammelten Erfahrungen der Amalia Birnbauer, niedergeschrieben in einer feinen, regelmäßigen Handschrift.
Dorothea schloss die Schublade und ließ sich auf einen der Stühle sinken. Das war ja nicht zu fassen. Es war eine Mischung aus Tagebuch und Checklistensammlung, anrührend altmodisch aussehend und zugleich verblüffend modern. Jeder Eintrag trug ein Datum und eine Nummer, die erste Notiz stammte aus dem Jahr 1957 und lautete: Einen Laden zu führen ist nicht einfach, wenn man es richtig gut machen will. Lernen! Alles, was ich lerne, aufschreiben!
Ganz hinten hatte sie eine Art Inhaltsverzeichnis angelegt, von der letzten Seite aus rückwärts aufgelistet und regellos durcheinander. Wie man Preise aushandelt stand da, gefolgt von Waren frisch halten , Richtig reklamieren und Bestellmengen . Hinter jedem Schlagwort standen eine oder mehrere Nummern, die auf die Einträge verwiesen. Von denen wiederum waren manche durchgestrichen; da stand dann zum Beispiel: Bisher ganz falsch gemacht! Siehe jetzt Nr. 214 .
Dorothea blätterte fasziniert durch die Seiten. Jede Menge Adressen, die sicher nicht mehr relevant waren, aber auch Pflegetipps, Anleitungen, wie man alte Brötchen noch einmal auffrischte (kurz in kaltes Wasser tauchen und dann sofort im heißen Backofen bei 200 ° zehn Minuten aufbacken) oder Gemüse frisch hielt. Mohrrüben hatte Frau Birnbauer immer in einer Kiste mit Sand aufbewahrt. Interessant. Und mit feuchten Tüchern und Salat hatte sie auch eine Menge anzufangen gewusst. Am faszinierendsten waren ihre Notizen, wie man mit Lieferanten zurechtkam und mit Kunden umging. Sei selbstbewusst , schrieb sie. Du bist kein Supermarkt, also versuche nicht mit einem zu konkurrieren. Deine Stärken liegen ganz woanders …
Dorothea schreckte hoch. Hatte es geklopft? Sie stand auf, ging nach vorn, das Notizbuch in der Hand.
Tatsächlich, da war jemand an der Tür. Und es war schon nach acht! Dorothea schloss auf. Zwei Frauen aus dem Dorf standen da, von denen eine sagte: »Na also, ich dachte doch, Ihr Auto steht da, da müssen Sie doch auch da sein …«
»Ich … habe nicht auf die Uhr geachtet«, brachte Dorothea nur heraus. »Kommen Sie herein.«
»Das Flugblatt gestern, das war ja wirklich allerliebst«, plapperte die andere. »Wer hat das gemalt? Ihr Sohn?«
»Ja«, sagte Dorothea und stutzte. Gestern? Oh, dieser Schlingel!, dachte sie. Hatte er es also verschwitzt, die Blätter zu verteilen. Gestern Mittag hatte sie ihn gefragt, ob alles glattgegangen war, und er hatte gesagt, ja, ja. Und dann hatte er auf einmal noch mal dringend weg müssen …
»Aber Sie haben völlig Recht«, fuhr die Frau fort, »das macht man sich gar nicht klar, was so eine Fahrt bis zum Supermarkt eigentlich kostet …«
»Haben Sie nur die zwei Sorten Olivenöl?«, rief die andere von hinten.
»Ähm … ja«, antwortete Dorothea und umfasste das Buch der alten Frau Birnbauer fester. »Ich tue von allem immer zwei Sorten her: die beste und die billigste. Mehr Auswahl braucht kein Mensch, finde ich.«
Die Frau sah sie überrascht an. »Da ist was dran.« Sie nahm eine Flasche Olivenöl – das teure, gute – und legte es in ihren Korb.
Bis mittags Schlag zwölf verging keine Minute, in der nicht mindestens ein Kunde im Laden war.
Werner war fröhlich, beinahe aufgekratzt, als er an diesem Abend nach Hause kam. »Es ist alles halb so wild, sage ich dir«, erklärte er und küsste sie heftig.
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