Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt
näher heranrückt, falls jetzt alle Welt auf Kohle setzen sollte«, sagte eine grauhaarige Frau.
»Was für uns in Deutschland wenig problematisch ist, da wir große Vorräte an Kohle guter Qualität besitzen.«
»Die Nutzung von Kohle zur Energiegewinnung wirkt sich negativ auf die Luftqualität aus«, wandte ein Mann ein, der einzige, der nur einen Pullover trug.
»Heutige Rauchgasreinigungsanlagen werden damit fertig.«
»Aber nicht mit dem CO2 -Ausstoß. Außerdem besteht ein großer Teil der deutschen Kohlevorkommen aus Braunkohle – das bedeutet großmaßstäbliche Zerstörung von Landschaft und Lebensraum.«
»Kohle jedenfalls«, resümierte der Mann mit der Löwenmähne und umfasste den nächsten Finger an seiner Hand. »Und natürlich Kernenergie.«
»Davon wollten wir auch weg«, sagte die Kanzlerin.
»Das werden Sie nicht können.«
Am Tisch entstand Unruhe, die sich diesmal nur mühsam dämpfen ließ. »Kernenergie ist umstritten, das weiß ich«, erklärte der Mann mit der Löwenmähne, als ihm die Kanzlerin wieder das Wort erteilte. »Aber es ist die einzige Energiequelle, die keine Treibhausgase freisetzt, fossile Brennstoffe wirksam ersetzen kann und potent genug ist, um den globalen Bedarf zu befriedigen.«
Eine Weile ging die Diskussion erregt hin und her. Nur ein Einziger beteiligte sich nicht daran; tatsächlich hatte er bis jetzt außer »Guten Tag« beim Betreten des Raumes überhaupt noch nichts gesagt. Es war ein bekannter Philosophieprofessor aus Süddeutschland, der bisweilen eine Talkrunde im Fernsehen leitete und auf persönlichen Wunsch der Kanzlerin – und zu seiner eigenen Überraschung – nach Berlin eingeladen worden war. Er saß auf seinem Stuhl, ein Mann mit einem rundlichen Gesicht, einem Schnauzer und etwas wirr abstehenden Haaren, die Hände vor dem beachtlichen Buddhabauch gefaltet, und beobachtete das Treiben, als gehe ihn das alles gar nichts an.
»Herr Professor«, sprach ihn die Kanzlerin schließlich direkt an, »nun hätte ich gerne Ihre Gedanken dazu gehört.«
Er nickte, wartete, bis alle Augen auf ihn gerichtet waren, dann räusperte er sich. »Ich mag mich irren, aber mein Eindruck ist, dass die Diskussion bis jetzt völlig am eigentlichen Problem vorbeigegangen ist. Die Frage, wie wir Strom erzeugen sollen, ist doch im Augenblick nicht die brennendste, sondern: Womit werden wir künftig Fahrzeuge betreiben? Und wie Wohnungen heizen? Bei Letzterem sehe ich, wenn auch ungern, eine gewisse Anwendung für Strom oder gar Kohle – aber bei Automobilen und Flugzeugen, tut mir Leid, ist der Engpass. Und wenn Sie den nicht lösen, nützt Ihnen alles andere auch nichts, denn ob Sie Kernkraftwerke bauen oder Windräder, Sie brauchen Baumaschinen dazu, die Sie wiederum weder mit Uran noch mit Wind betreiben können.«
Einen Moment lang herrschte Stille. Erschrockene Stille.
Werner saß stumm am Küchentisch, las das Anwaltsschreiben wieder und wieder, und Dorothea konnte sehen, wie sein Gesicht einen rötlichen Ton annahm, der äußerst selten bei ihm vorkam.
»Wenn ich so was lese, möchte ich am liebsten eine Bombe schmeißen«, brach es schließlich aus ihm heraus. »Allein dieser Ton, dieser arrogante … herablassende … Diese verfluchten Anwälte gehören doch alle auf den Mond geschossen. Ohne Raumanzüge.«
Nebenan im Wohnzimmer dröhnte der Fernseher. Julian schaute irgendeine Wissenschaftssendung, seine neueste Leidenschaft. Gerade ging es um das aktuelle Vorhaben der Bundesregierung, mehrere neue Anlagen zur Kohleverflüssigung zu errichten, um die Versorgung mit Treibstoff irgendwann auch ohne Ölimporte sichern zu können. Der Kommentator erzählte, dass die entsprechende Technologie 1913 von dem deutschen Chemiker und Nobelpreisträger Friedrich Bergius erfunden und in den dreißiger Jahren zur Herstellung von synthetischem Benzin aus Kohle verwendet worden war. Das Verfahren sei in Verruf geraten, weil der auf diese Weise erzeugte Treibstoff vorrangig Hitlers Kriegsmaschine angetrieben hatte.
»Julian«, rief Dorothea. »Geht’s auch ein bisschen leiser?«
Mit unwilliger Verzögerung kam ein »Ja, ja«. Der Fernseher wurde minimal leiser gedreht. Der Bericht wandte sich, immer noch gut vernehmbar, dem ebenfalls geplanten Ausbau der Fernwärmenetze zu. Der Bau von Blockheizkraftwerken, also kleinen Kraftwerken, deren Abwärme, anstatt einfach in die Umwelt abgeleitet zu werden, dazu genutzt wurde, die Wohnungen in den umliegenden
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