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Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt

Titel: Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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andere.
    »Das erzähl ich meinem Mann«, sagte eine dritte. »Der ist bei der Zeitung; der soll da was drüber schreiben.«
    Drei Tage später kam tatsächlich ein großer Artikel in dem Blatt, das hier in der Gegend in praktisch jedem Haushalt auf dem Frühstückstisch lag. Eine ganze Seite, unübersehbar. Ein Bericht über Dorotheas Laden, mit Fotos. Ein Bericht über die Abmahnung der Supermärkte, garniert mit zwei Fotos der jeweiligen Filialleiter, auf denen sie wie finstere Mafiosi aussahen.
    Und ein Kommentar, der unverhohlen zum Boykott aufrief.
    Zwei Wochen später tauchte ein erschöpft aussehender junger Mann in Dorotheas Laden auf. Er drückte sich zwischen den Regalen herum, bis ein Moment kam, in dem außer ihm und Dorothea niemand im Laden war. »Frau Utz?«, fragte er sofort. »Kann ich Sie mal sprechen?«
    Dorothea, die ihn schon angefangen hatte zu beobachten, nickte misstrauisch. »Tun Sie ja schon.«
    Er kam nervös näher. »Ich komme aus Duffendorf. Ich bin der neue Filialleiter von Fixkauf und möchte Sie bitten, dass wir diesen Streit beilegen. Wir ziehen diese dämliche Abmahnung natürlich zurück, und wenn Sie wollen, kriegen Sie den Kopf unseres Anwalts, der uns dazu angestiftet hat, auf einem Tablett – nur, bitte, stoppen Sie diesen Boykott. Wir sind echt am Limit. Die Transportkosten sind dermaßen gestiegen, wir machen nur noch Miese … Der Boykott bricht uns das Genick.«
    Danach lief alles wieder wie gehabt, doch an manchen Tagen wurde Dorothea trotzdem das Gefühl nicht los, sich in ihrem Laden eigentlich zu verstecken, zu verschanzen gegen eine Welt, die aus den Fugen geriet, die ihr vorkam wie ein Uhrwerk, das nach und nach in seine Teile zerfiel und einem Zahnräder, Achsen und Federstahl um die Ohren fliegen ließ.
    Nachrichten schaute sie schon lange nicht mehr. Wenn die Tagesschau anfing, ging sie aus dem Zimmer. Aber sie bekam die Zeitungen von den Nachbarn, als Packmaterial. Sie hatte die Schlagzeilen den ganzen Tag vor sich auf dem Tisch, wickelte Salatköpfe in Katastrophen ein und Mohrrüben in Untergangsmeldungen.
    Jeden Tag machte eine andere Fluglinie pleite. Sie hatte gar nicht gewusst, dass es so viele davon gegeben hatte. Reisebüros boten fast nur noch Reisen mit Bussen oder der Bahn an; die im Herbst gedruckten Kataloge waren alle für ungültig erklärt, die Charterflugreisen storniert worden. Wer nach Mallorca wollte, nahm besser das Schiff. Eine Kundin erzählte von einer Freundin, die auf dem Flughafen Palma de Mallorca gearbeitet hatte und nun arbeitslos war. Der Flughafen selber sei eine Geisterbahn geworden, gespenstisch leer und leblos.
    Und immer mehr Meldungen über Länder, in denen Beamte kein Gehalt bekamen, Rentner auf ihre Rente warteten, Arbeitslosengeld gestrichen wurde. In vielen östlichen Ländern lag die Wirtschaft am Boden, in Polen, in Tschechien, in Griechenland, in den Balkanländern – der Staat nahm keine Steuern ein, und wenn er versuchte, über Steuererhöhungen das Geld hereinzubekommen, das er brauchte, würgte das die Betriebe noch weiter ab.
    Wenn sie so etwas las, beschlich Dorothea das Gefühl, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis das auch hier in Deutschland passieren würde.
    Und Werner deutete an, dass weitere Gehaltskürzungen ins Haus standen. Noch nicht offiziell, aber es zeichnete sich ab. Neben dem dramatischen Auftragseinbruch hatte die Firma Probleme bei der Fertigung; ein bestimmter, wichtiger Motorentyp ließ sich nicht mehr herstellen, weil ein einziges, winziges Teil fehlte. Eine Art Düse aus einer speziellen Keramik. Werner hatte ihr natürlich genau erklärt, was und warum und welche Rolle das Bauteil spielte, aber eben so, wie es seine Art war, ausschweifend und detailversessen, bis sie überhaupt nichts mehr verstanden hatte. Jedenfalls, ohne dieses eine Teil war der Motor nicht betriebsfähig. Es gab nur einen einzigen Hersteller dafür, der außerdem das Patent darauf besaß, und der war pleitegegangen. Nun rotierte die Einkaufsabteilung, um eine andere Firma zu finden, die bereit und vor allem im Stande war, diese Keramikteile herzustellen, führte schon Lizenzverhandlungen und bereitete für den Fall, dass diese scheiterten, einen Antrag auf Löschung des Patents wegen Nichtausübung vor … Und solche Dinge ereigneten sich anscheinend zur Zeit überall.
    Alles hing mit allem zusammen. Das war es. Wie bei einem Uhrwerk eben. Nahm man ein Teil heraus, hörte der Rest bald auf zu funktionieren.
    Ihre

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