Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt
müsse prüfen, ein Ausschuss werde sich mit der Problemstellung befassen.
Dann, von einem Tag auf den anderen, verschwand der Hunger in Afrika völlig vom Radarschirm, und ein anderes Thema beherrschte die Schlagzeilen und Talkshows: die Liberalisierung des Fernsehens. Es könne nicht länger angehen, hatte eine Gruppe einflussreicher Politiker in einem Statement erklärt, dass das Fernsehen weiterhin durch ein Korsett von Vorschriften daran gehindert werde, sein Programm frei den Wünschen und Bedürfnissen seines Publikums anzupassen. In keiner anderen Branche gebe es das.
Wie üblich, fasste die BILD -Zeitung die Initiative in einem plakativen Satz zusammen: Künftig Porno- T V ab 23 Uhr?
Landauf, landab wurde nichts anderes mehr diskutiert. Mehr Kanäle oder weniger? Abschaffung der Gebühren? Bezahlfernsehen? Kanäle mit Zugangskontrolle? Die Sender gingen auf große Einkaufstour, um sich reichlich mit Filmen aus indischer Produktion, brasilianischen Telenovelas, mexikanischen Schmonzetten und so weiter einzudecken, solange dergleichen noch preiswert zu haben war. Während noch diskutiert wurde, wagten Sender erste Vorstöße in bisherige Tabubereiche, wurden verklagt, riefen Protestaktionen besorgter Eltern auf den Plan.
Für Berichte über Hungersnöte war gar kein Platz mehr im Programm.
Das wurde auch immer schlimmer mit der Post. Der Brief mit den beiden Karten von Markus darin hatte fast sechs Wochen gebraucht. Aber schöne Karten, mit Fotos. Ziemlich bizarr fand Dorothea die Daten darauf: Sie hatten geheiratet, und schon einen Tag später war ihr Kind auf die Welt gekommen. Wenn das nicht schnell war! Na ja, Markus war es schon immer wichtig gewesen, einer der Schnellsten zu sein.
Diese Amy-Lee war hübsch, dem Foto nach zu urteilen. Asiatische Gesichtszüge, klar, aber irgendwie passten die beiden zueinander, fand Dorothea. Es freute sie, dass ihr Bruder endlich irgendwo angekommen zu sein schien. Sie würde ihm auch schreiben. Oder anrufen, das ging am schnellsten. Auf der Karte war zwar eine E-Mail-Adresse angegeben, aber das Internet funktionierte zur Zeit seltsam unzuverlässig; Werner hatte erzählt, dass sie in der Firma für wichtige Dokumente wieder die Faxgeräte hervorgekramt hatten.
Am entzückendsten war natürlich das Foto von der kleinen Joy Carolin. Was für ein bezauberndes Baby! Dorothea pinnte das Foto an die Wand neben der Kasse, damit sie es den ganzen Tag anschauen konnte, und wenn jemand fragte, wer das sei, sagte sie: »Meine Nichte. In Amerika.« Wie das klang!
Der Laden lief immer besser. Inzwischen beschäftigte sie zwei weitere Frauen, um wirklich den ganzen Tag offen haben zu können und auch in den Stoßzeiten – ja, inzwischen gab es so etwas! – nicht unterzugehen. Die zweite Kasse hatte sie gebraucht günstig übers Internet ersteigert, als es noch so funktioniert hatte, dass man sich darauf verlassen konnte.
Und nun plante sie schon das nächste Projekt. Ihr war aufgefallen, dass viele Leute in diesem Frühjahr Teile ihrer bisherigen Ziergärten umgegraben hatten, um Gemüse, Salat und dergleichen anzupflanzen. Zu dieser Beobachtung passte eine Zeitungsmeldung, wonach die Bau- und Gartenmärkte zur Zeit hohe Umsätze mit Gartengeräten, Saatgut und Bausätzen für Treibhäuser und Beetabdeckungen machten.
Sie hatte einige Gartenbesitzer im Ort angesprochen, ob sie eventuell den Teil ihrer Ernte, den sie nicht selber verzehren konnten, über den Laden verkaufen wollten. Dabei erfuhr sie, dass viele Leute mit dem Anlegen eines Nutzgartens nicht besonders gut zurechtkamen. Der Salat wurde Opfer von Schnecken, die Mohrrüben wuchsen schief, die Petersilie ging ein, die Rettiche gerieten holzig, und so weiter.
Das brachte sie auf die Idee, einen Kurs zu organisieren.
Dazu musste sie natürlich vor allem jemanden finden, der sich mit Fragen des Anbaus von Gemüse und Obst nicht nur auskannte, sondern auch im Stande war, sein Wissen weiterzuvermitteln. Die meisten der Bauern, die sie kannte, schieden da aus; das waren alles Brummbären, die keine Geduld mit unbedarften Stadtmenschen haben würden.
Sie packte gerade einer Kundin, einer älteren Dame, die jeden Tag kam, aber immer nur homöopathische Mengen einkaufte, drei Möhren und eine kleine Salatgurke ein, als das Telefon klingelte. Normalerweise ließ sie es in solchen Situationen klingeln und den Anrufbeantworter abnehmen, aber da sie gerade auf den Rückruf eines gewissen Tom Hannen wartete, den man ihr
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