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Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt

Titel: Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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»Immerhin das haben Sie begriffen.«
    Taggard begann unwillkürlich, die Argumente an seinen Fingern abzuzählen. »Die Leute haben hier keine Verfassung, kein Parlament, keine Parteien. Was eine Gewerkschaft ist, wissen sie nicht mal, und die Presse schreibt nur, was die Regierung geschrieben haben will. Glen, dieses Land ist praktisch Privatbesitz der Familie Saud. Und die Familie Saud, die reichste Familie der Welt, raubt ihre eigenen Leute aus. Wir haben es beide gesehen, keine drei Tage nach meiner Ankunft. Sie zerstören den Mittelstand. Sie haben das ganze Land von ihren Almosen abhängig gemacht, und das Geld dafür haben wir ihnen gegeben!«
    »Charles. Sie haben uns ihr Öl dafür verkauft. Es geht uns absolut nichts an, was sie mit ihrem Geld anstellen.«
    »Mag sein, aber es geht uns etwas an, was die Sauds mit diesem Land machen.« Es war die Hitze. Sein Mund redete, ehe das Hirn im Stande war, einzugreifen. »Nach all den Jahrzehnten gibt es hier außer Öl immer noch praktisch keine nennenswerte Wirtschaft. Und Himmel, ich musste es dreimal lesen, damit ich es glauben konnte – das Land ist bis über die Ohren verschuldet! Mehr als zweihundert Milliarden Dollar! Wenn man das auf die Bevölkerung umrechnet, sind das pro Kopf mehr Schulden, als Argentinien sie hatte, als das Land pleiteging. Auch das Bruttoinlandsprodukt erreicht auf Pro-Kopf-Basis in Saudi-Arabien trotz allem Öl und so weiter nicht mal die Hälfte des ärmsten OECD -Staats.«
    »Das liegt schlicht und einfach daran, dass es hier inzwischen verdammt viele Köpfe gibt«, erwiderte Myers. »Irgendwann wird sich das auch wieder normalisieren.«
    Taggard hatte nicht vorgehabt, sich in Rage zu reden. Dass Myers ihm die Unterschrift verweigern würde, war zu ahnen gewesen. Myers war ein Sesselhocker, und das Einzige, was ihn interessierte, war, dass Ruhe in seinem Bereich herrschte.
    »Nein. Da wird sich nichts normalisieren. Saudi-Arabien ist ein Pulverfass. Die Hälfte der Bevölkerung ist jünger als 18 Jahre, und es gibt praktisch keine Jobs. Selbst wenn es sie gäbe, die Leute wären nicht dafür ausgebildet. Von drei Universitätsabschlüssen, die hier zu Lande gemacht werden, sind zwei Abschlüsse in islamischer Theologie.« Taggard beugte sich vor, schob Myers die Mappe mit dem Bericht wieder hin. »Wir dürfen uns nicht einmal wünschen, dass in Saudi-Arabien plötzlich die Demokratie ausbricht, denn die ersten Wahlen würden mit überwältigender Mehrheit ein islamistisches Regime an die Macht bringen, gegen das Ayatollah Khomeini wie ein Freund Washingtons wirken würde. Zum Teufel, vermutlich würde Osama Bin Laden der erste gewählte Präsident! Und von da an würde jedes weitere Barrel Rohöl hundertvierzig Dollar kosten. Das ist doch der Grund, warum wir die Sauds an der Macht halten: damit dieses Land nicht demokratisch wird. Und das, Glen, ist eine Schande für Amerika.«
    Myers verschwand wieder im Schatten. Seine Hand griff nach der Mappe, hob sie hoch, hielt sie einen Moment abschätzig und stieß sie dann über die Tischkante in den Papierkorb, wo sie mit einem metallischen Klonk! landete.
    »Kein Mensch in den Staaten will das wissen, Taggard. Kein Mensch, glauben Sie mir.«
    Nach dem Gespräch mit Myers sitzt Charles W. Taggard in seinem Büro, starrt aus dem Fenster und tut den Rest des Tages nichts mehr.
    Zumindest nichts, das man sehen könnte.
    Die Zeit scheint stillzustehen, doch in seinen Gedanken arbeitet es. Da ist etwas, das er bisher übersehen hat. Ein Zusammenhang, den er noch nicht durchschaut. In dem Gespräch mit Myers ist eine Saite angezupft worden, die zu dieser Einsicht führt, und sie vibriert immer noch.
    Der Islamismus. Irgendwie ist das der Schlüssel.
    Draußen flimmert die Luft über den Dächern Riyadhs. Autos gleiten wie kleine dunkle Spielzeuge die breiten Straßen entlang. Der Himmel ist von einem unglaublich reinen Blau.
    Charles W. Taggard hat auf seinen riskanten Stadtspaziergängen die Mutawaiin gesehen, die Religionspolizisten, die tagsüber und abends zu den Gebetszeiten durch die Geschäftsstraßen ziehen, Furcht einflößende Gestalten mit langen, rot gefärbten Bärten, die mit Rohrstöcken an die Scheiben oder Gitter der Läden schlagen, um deren Besitzer aufzufordern zu schließen und sich zum Gebet in die nächste Moschee zu begeben. Er hat gesehen, wie die Mutawaiin Frauen, die sie unzureichend verhüllt fanden, regelrecht gejagt und mit ihren Rohrstöcken nach ihnen

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