Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt
geschlagen haben.
Ein Albtraum in seinen Augen. Doch in der Bevölkerung genießen die Mutawaiin Anerkennung, ja sogar Respekt.
Er hat sich, deutlich erkennbar als Amerikaner, in der Nähe der Koranschulen aufgehalten, die es ohne Zahl zu geben scheint. Er hat ein argloses Gesicht aufgesetzt und sich angehört, wie man ihn verspottete und beschimpfte. Es ist ihm oft schwer gefallen, so zu tun, als verstehe er kein Arabisch. Die Koranschulen kommen ihm vor wie Brutstätten blanken Hasses. Nicht die Liebe zu Gott scheint dort gelehrt zu werden, sondern Hass auf Amerika.
Charles W. Taggard fragt sich mehr denn je, was er sich eigentlich von diesem Aufenthalt versprochen hat.
Er ist nicht gekommen, um die Hintermänner, die Schuldigen, die Drahtzieher des Anschlags von New York auf eigene Faust ausfindig zu machen. Das steht fest. Er ist nicht der Typ für derart närrische Ideen. Es sind nicht einmal Rachegelüste, die ihn treiben. Mittlerweile sagt er sich, dass seine Tochter sowieso gestorben wäre, nur eben etwas später. Nein, es ist nicht Rache, was er will.
Aber was dann?
Seine Gedanken kehren zurück zu den Koranschulen. Er sieht sich wieder da stehen und fragen: »Entschuldigen Sie, spricht jemand von Ihnen Englisch?« Die meisten Saudis sprechen Englisch, man kann nichts werden ohne Englischkenntnisse, doch die jungen Männer, die aus diesem Haus kommen, vibrierend vor Kraft und Energie, tun so, als verstünden sie kein Wort. Sie nennen ihn einen Ungläubigen, den Sohn einer Hündin. Sie haben bis vor wenigen Minuten ihre heilige Schrift studiert und diskutieren nun darüber, ihn zu töten. Wie sie ihn hassen! Und nur, weil er Amerikaner ist.
Bezahlt werden diese Koranschulen von Amerikas Verbündeten, den Sauds.
Was ist hier schiefgelaufen?
Seit den Tagen des Staatsgründers und ersten Königs Ibn Saud, das weiß Taggard aus den Geschichtsbüchern, existiert das Königshaus nur dank der Billigung der wahhabitischen Religionsführer, die für sich in Anspruch nehmen, den wirklichen, reinen Islam zu vertreten. Es ist für ihn kaum nachvollziehbar, wie diese Gelehrten im Stande sind, dabei die Augen fest geschlossen zu halten vor dem Lebenswandel der königlichen Familie, der nach jedem Maßstab, selbst dem des dekadenten Amerikas, unmoralisch, korrupt und verdorben ist. Er hat die klassifizierten Berichte gelesen, die von Palastintrigen, Neid, sogar Morden innerhalb der Familie erzählen, und das Haus Al Saud kommt ihm inzwischen vor wie ein Mafia-Clan. Die Prinzen sind geldgierig über jedes Maß hinaus, dazu rachsüchtig und gewalttätig. Es sind Potentaten, mehr als reif dafür, von einem Aufstand des Volkes hinweggefegt zu werden.
Doch das Volk ist ruhig gestellt. Dank des vielen Geldes. Dank des vielen Öls.
Die Sauds finanzieren die Koranschulen und stärken damit die Position der Wahhabiten innerhalb der islamischen Welt. Im Gegenzug sichern die wahhabitischen Geistlichen die Position der Sauds. Das ist der Deal.
Der Verlierer ist das saudische Volk, das bevormundet wird, entrechtet, indoktriniert.
Und die USA wollen nicht wahrhaben, was geschieht. Weil die Situation so, wie sie ist, für Amerika am bequemsten ist.
Als Charles W. Taggard seinerzeit zur CIA gegangen ist, tat er es unter dem Eindruck des Kalten Krieges. Er wollte die Freiheit verteidigen, die Freiheit seines Landes, aber auch die aller anderen Menschen. Für ihn gehört das zusammen, immer noch und trotz mancher moralisch fragwürdigen Dinge, die er in seinem Beruf schon getan hat. Damals hätte er kein junger Kubaner, kein junger Russe sein wollen – heute wollte er kein junger Saudi sein …
Eine Erinnerung taucht auf, blitzartig. Wie er eines Abends durch Riyadh wandert, wieder einmal, und wie ihm auffällt, wie viele Autos herumfahren, in deren Heckscheibe große Zettel mit Mobiltelefonnummern hängen. Es sieht aus, als seien diese Autos zu verkaufen, aber warum sind die Zahlen so groß geschrieben, dass man sie noch aus einer Entfernung lesen kann, aus der man nicht einmal mehr den Autotyp erkennt? Und warum fahren diese Autos so langsam, warum manövrieren sie so umständlich vor bestimmten Gebäuden? Die Fahrer sind alles junge Männer, und junge Männer sind normalerweise eher dafür berüchtigt, zu schnell zu fahren.
Und endlich begreift er. Die Autos sind nicht zu verkaufen. Die Männer fahren ihre Telefonnummern vor Häusern spazieren, in denen sich Frauen aufhalten, in der Hoffnung, dass eine Frau sich ihre
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