Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt
der königlichen Familie mitzuerleben, das war ihr erspart geblieben.
Welch ungeheure Enttäuschung! Er lernte siebzigjährige Männer kennen, die fünfzehnjährige Mädchen heirateten. Männer, die sich Paläste an die Côte d’Azur bauen ließen, um sich dort mit Huren zu vergnügen. Männer, die im Flugzeug Whiskey-Flaschen entkorkten, sobald es von saudischem Boden abhob. Männer, die allabendlich in den Spielcasinos von Monte Carlo und Nizza Millionen verspielten. Die sich bestechen ließen, um ihre kolossalen Apanagen aufzubessern, die Drogen schmuggelten oder mit Waffen handelten.
Das, worauf er hingelebt hatte, existierte überhaupt nicht. Alle Selbstdisziplin, all sein Streben nach Tugend und der einem Prinzen angemessenen Vortrefflichkeit war vergebens gewesen, sich darauf vorzubereiten, Verantwortung zu übernehmen, sinnlos.
Bei dem bloßen Gedanken, im Spiel der Palastintrigen mitzumischen, war ihm übel geworden. Hätte er sein Geld für Diamanten, Jagdfalken, Jachten, teure Autos und Privatflugzeuge ausgeben sollen? Nichts wäre ihm sinnloser vorgekommen als ein solches Leben.
Also zog er sich zurück. Eine Reaktion, die den anderen nur recht war.
Für ihn lag auf der Hand, dass es der Kontakt mit dem Westen war, der seine Familie so verdorben hatte – das viele Geld und die Verlockungen, die das Abendland in seiner Verderbtheit dafür bereithielt. Für Alkohol und goldene Türgriffe hatten sie ihr wahres Erbe ausgeschlagen: das Wort Gottes und das Leben in der kristallenen Klarheit der Wüste.
Das Öl war keine Wohltat Allahs gewesen, wie so viele dachten, sondern eine Prüfung. Und siehe, kaum jemand war im Stande, sie zu bestehen. Das war bitter.
Eine Staubwolke am Horizont ließ ihn aufsehen. Jemand kam, in einem großen, schweren Automobil, das zu schnell fuhr für die sandige Piste.
Abu Jabr blieb sitzen und wartete. Schon aus der Ferne war ihm das Fahrzeug bekannt vorgekommen; als es näher kam, sah er, dass ihn seine Ahnung nicht getrogen hatte. Es war das derzeitige Lieblingsspielzeug seines zweitältesten Sohnes Zayd, ein Koloss von einem Wohnmobil, das da zum Stillstand kam, schwarzglänzend, auf ungeheuren Reifen ruhend und mit einer Klimaanlage, deren angestrengtes Brummen alle Stille vertrieb, die bis eben in der Oase geherrscht hatte.
Zayd. Auch um ihn machte Abu Jabr sich Sorgen. Es war Abu Jabr nie gelungen, in Zayd dieselbe Liebe zur Wüste zu wecken, die ihn erfüllte. Zayd war Geschäftsmann geworden, und ab und zu hörte man, bei seinen Geschäften ginge es nicht immer legal zu. Abu Jabr konnte nur hoffen, dass das üble Nachrede war von Leuten, die Zayd seine Erfolge neideten. Der König hatte ihn in den Rat berufen – eine steile Karriere für einen so jungen Mann. Auch wenn er dadurch für Abu Jabrs Geschmack zu viel Umgang mit den amerikanischen Beratern des Königs hatte.
Sie begrüßten einander. Abu Jabr bot ihm den Platz neben sich und eine Schale Datteln an, dann saßen sie da, aßen und schwiegen, als sei das Fauchen und Gurgeln der Klimaanlage ein Konzertstück, dem zu lauschen sie sich verabredet hatten.
Doch es war deutlich zu spüren, dass Zayd angespannt war, ungeduldig. Er war nicht gekommen, um mit ihm zusammen zu sein, sondern weil er etwas von ihm wollte. Etwas Dringendes, sonst hätte er die paar Tage gewartet, bis Abu Jabr wieder nach Riyadh zurückgekehrt wäre.
»Du hast viel zu tun?«, brach Abu Jabr schließlich das Schweigen.
»So ist es.«
»Zu viel, um lange mit deinem alten Vater in einem alten Zelt zu sitzen.«
Zayd neigte den Kopf in einer für ihn ungewohnten Geste der Ehrerbietung. »Ich bin gekommen, um dich um etwas zu bitten, Vater.«
»Du kannst immer auf mich zählen. Das weißt du doch.«
Zayd nickte, griff in die Tasche und holte ein Stück Papier hervor, das er ihm reichte. Es war eine Seite aus einer englischen Zeitschrift, erkannte Abu Jabr, als er es auffaltete. Eine ganzseitige Anzeige, die eine Frau in unzüchtiger Bekleidung zeigte.
»Die andere Seite«, sagte Zayd.
Abu Jabr drehte das Blatt um, las die Überschrift. Ein Bericht über etwas Medizinisches.
»Eine Klinik in Deutschland hat eine neue Therapie entwickelt«, fuhr Zayd fort, »die eine Hoffnung für Mandhur sein könnte. Ich habe mit dem Arzt telefoniert. Er sagt, die Chancen stehen gut, die Krankheit völlig zu heilen.«
» In sha’allah «, murmelte Abu Jabr beeindruckt. Der kleine Mandhur litt seit seiner Geburt an einer zunehmenden Erschwerung der
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