Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
der junge Mann bejaht. Ich nehme Clara an die Hand und schreite zu den Badeanzügen, Bikinis und Tankinis. Mutig greife ich zu einem Zweiteiler in Größe 8, was einer deutschen Größe 38 entspricht. Hinter Cola Kisten ziehe ich die Teile an. Clara fällt ihr Urteil.
»Magnifique!«
»Wonderful! Marvelous!«, lautet das Urteil des Reggea Mannes. Nein, er hat keinen Spiegel, beantwortet er meine suchende Blicke. Ich greife in meine Tasche und ziehe mein Mobiltelefon heraus. Ich aktiviere die Kamera und bitte den Strandbudenverkäufer, Fotos von diesem und den nachfolgenden Bikinis, Badeanzügen und Tankinis zu machen. Für Clara bestelle ich noch ein Eis und für mich einen weiteren Cocktail. Sicher bin ich mir nicht, ob der zweite ohne Alkohol ist. Meine Stimmung klettert in der Mittagssonne in weite Höhen. Zur Musik des Reggea Mannes tanze ich alle Modelle der Größe 8 und sehe mir im Anschluss belustigt die Fotos auf dem Handy an. Schließlich entscheide ich mich für einen Bikini und zwei Tankinis.
»My Name is Martin«, sagt der Reggea Mann.
»So heißen wir auch«, lache ich. Wir machen per Selbstauslöser noch ein Foto zu dritt und verabschieden uns mit dem Versprechen, bestimmt noch einmal wieder zu kommen.
Jenny und Phillip sind schon zu Hause.
»Es war sehr traurig«, sagt Jenny, »wir haben alle geweint.«
»Wo ist Mike?«
»Er bestand darauf, allein zu sein. Ich weiß auch nicht, wie wir ihm helfen können«, sagt Phillip. Jenny bereitet einen Salat in der Küche und Clara und ich duschen uns den Sand und das Salzwasser von der Haut.
»Der Mann am Strand heißt Martin, genau wie wir. Aber Martin als Vorname«, lacht die Kleine. Ich beschließe, den Rest des Tages im Schatten zu verbringen. Mit einem von Mikes Büchern verziehe ich mich auf einen Liegestuhl auf der überdachten Terrasse. Auf Seite sieben will ich schon aufgeben. Aber Jenny leistet prima Übersetzungshilfe. Die Geschichte handelt von seiner Jugend, die er als viertes Kind einer Arbeiterfamilie in Boston erlebte. Er beschreibt seinen Weg, wie er als mittelmäßig begabter Schüler von seiner Lehrerin zu Höchstleistung angespornt wurde und erste Preise für seine amüsanten Kurzgeschichten einheimste.
»Seine Bücher sind alle autobiographisch.« Phillip mixt Cocktails, aber ich lehne ab. Als mein Telefon klingelt, springe ich wie ein junges Mädchen ins Schlafzimmer, um den Anrufer nicht zu verpassen. Mein breites Lächeln auf dem Gesicht zeigt, dass ich mit Tobi telefoniere.
»Wo bleiben die versprochenen Bilder«, will er wissen. Ich lasse Clara den Vortritt.
»Wir haben heute einen Freund am Strand kennengelernt, der heißt auch Martin. Genau wie wir, aber mit Vornamen«, plaudert sie aufgeregt aus. »Nein, kein Kind. Ein großer Mann! Er hat mit Mamam getanzt und sie ganz oft fotografiert«. Ich nehme Clara das Telefon aus der Hand. Die Kleine plappert mich um Kopf und Kragen. Ich verziehe das Gesicht in Richtung Jenny. »Martin kommt für mich nicht in Frage. Er hat einen Bootsführerschein. Ein Scherz, Tobi. Ein Scherz! Ich habe mir einen neuen Bikini gekauft und hab mich vom Verkäufer für dich fotografieren lassen. Ich schicke dir die Bilder gleich. Danach rufst du wieder an, versprochen?« Ich sende die Bilder auf sein Handy und warte gespannt auf seinen Rückruf.
»Der ruft nicht zurück. Der nimmt den nächsten Flieger und schlägt hier auf«, lacht Phillip.
»Ich hätte nichts dagegen«, kontere ich, denn ich bin es leid, wegen Tobis Eifersucht von den toten Ehekrüppeln ständig belächelt zu werden. Er ruft nicht zurück. Aber ich erhalte eine Kurzmitteilung mit dem Inhalt »Viel zu scharf! Ich liebe dich. Bis morgen.«
Phillip und Jenny gehen früh schlafen. Mein Biorhythmus ist durch die Zeitverschiebung völlig durcheinander geraten und ich liege zunächst wach neben der schnarchenden Clara, als ich beschließe, auf eine Zigarette in den Poolbereich zu gehen. Ich sehe zum Nachbarhaus und entdecke, dass Mike ebenfalls im Garten ist. Ich will mich nicht verstecken und ergreife die Initiative.
»Hallo Mike. Ich bin es, Marie. Erinnerst du dich an mich?« Ich nehme meine Schachtel und das Feuerzeug und gehe durch den Screen hinüber zum trauernden Witwer. Er versucht ein Lächeln, aber ohne Erfolg.
»Ich habe Clara dabei. Sie ist noch zu klein, um zu verstehen. Deshalb sind wir heute nicht bei der Beerdigung gewesen.«
Weitere Kostenlose Bücher