Ausgeliebt
lärmen.
Bevor ich die Milch aufgeschäumt hatte, klingelte es an der Haustür. Ich fühlte mich genervt, ich hatte Geburtstag, man ließ
mich nicht in Ruhe in den Tag kommen, die gestrige Melancholie lag immer noch über meinem Kopf. Es klingelte wieder, diesmal
länger. Sonntagmorgens gab es keine Post.
Charlotte schreckte auf.
»Richard? Weil du Geburtstag hast?«
Ich zog schnell meinen Bademantel über, versuchte meine Haare glatt zu streichen, riss die Haustür auf und drückte auf den
Türsummer. Mein Puls schlug bis zum Hals.
»Du hast Geburtstag.«
Dorothea, beladen mit Tüten und Blumen, stieg strahlend die Treppe hoch.
Ines folgte ihr dichtauf. »Guten Morgen, Geburtstagsschwester.«
Ich sah ihnen entgegen, versuchte begeistert auszusehen und hielt in Gedanken Edith den Mund zu.
»Ines, Dorothea, es ist noch keine 9 Uhr.«
Dorothea erreichte mich zuerst, stellte ihre Tüten ab und umarmte mich.
»Alles Wunderbare zum Geburtstag, du hast so viel geschafft, auf dass es so weitergeht.«
|177| Sie küsste mich auf den Mund, schob mich dann mit ausgestreckten Armen von sich, musterte mich und fing an zu lachen.
»Gut, dass wir so früh da sind, da liegt ja kein Haar richtig. Und dann dieser Bademantel.«
Ines schob uns zur Seite, um die Haustür schließen zu können. Sie schob mich genau vor den Spiegel, ich sah hinein. Meine
Haare standen in alle Richtungen und filzig vom Kopf ab, mein rotkarierter Bademantel bestand nur noch aus Ziehfäden und war
vorne länger als hinten.
Ich sah Ines an, zuckte mit den Schultern und sagte: »Vierzig.«
Ines lachte und nahm mich fest in die Arme.
»Herzlichen Glückwunsch, große Schwester. Aber du bist irgendwie noch nicht richtig bei dir. Ist die Uhrzeit zu früh oder
das Alter zu hoch?«
Ich antwortete, während ich Dorothea in die Küche folgte. »Beides, und das alles auch noch vor dem ersten Kaffee.«
Während der nächsten halben Stunde saß ich am Küchentisch, trank den Kaffee, den Dorothea mir hingestellt hatte, und beobachtete
verwundert, wie die beiden meine Wohnung und mich in Beschlag nahmen. Während Ines Lebensmittel und Sektflaschen auspackte
und in den Kühlschrank räumte, zog Dorothea, Geburtstagslieder summend, mit ihren Tüten ins Wohnzimmer. Ich hörte sie mit
Papier rascheln, den Tisch rücken, mit irgendwelchen Dingen klappern.
Ich zündete mir eine Zigarette an und trank Kaffee. Sie würden mir Bescheid sagen, wenn ich etwas tun sollte.
Ines hatte alles verstaut, sie setzte sich mit frischem Kaffee zu mir und lächelte mich an.
»Vierzig.«
Ich lächelte zurück. »Als Mama so alt war, habe ich Abitur gemacht. Das ist das einzig Komische.«
Bevor wir sentimental werden konnten, stand Dorothea mit nach oben ausgestreckten Armen in der Küchentür. »Hoch soll sie leben,
hoch soll sie …«
|178| Ines unterbrach ihren schrägen Gesang. »Bist du fertig?«
Dorothea funkelte erst sie, dann mich an.
»Mit dem Lied noch nicht, aber bitte, wenn dafür keine Zeit ist. Christine, du kannst gucken.«
Mein Wohnzimmer sah so aus, wie sich Kinder ein Geburtstagszimmer wünschen. Überall standen Blumen und angezündete Teelichter,
der Esstisch war voller eingepackter Geschenke, dazwischen lagen Smarties, in der Mitte stand ein kleiner Kuchen mit brennenden
Kerzen.
Ich war so gerührt, dass ich feuchte Augen und einen kratzigen Hals bekam. Ines stieß mich an.
»Was ist? Willst du heulen oder auspacken?«
Ich brauchte fast eine halbe Stunde, um alles auszupacken. Neben Handcreme gegen Altersflecken, Shampoo gegen dünner werdendes
Haar und Augencreme, die ich sowieso schon lange ohne sichtbaren Erfolg benutzte, schenkte mir Dorothea eine sündhaft teure
Handtasche, Ines ein Paar Ohrringe, meine Eltern eine Zehnerkarte für die Strandsauna und mein Bruder eine Eintrittskarte
für Hagenbeck. Auf dem Umschlag stand in Georgs Handschrift: »Denk mal, unser letzter gemeinsamer Zoobesuch ist dreißig Jahre
her.«
Ich sah Ines und Dorothea an.
»Mein letzter Geburtstagstisch ist auch bestimmt zwanzig Jahre her.«
Ines schüttelte leicht den Kopf.
»Ich habe mit Dorothea vorhin schon im Auto über deine letzten Geburtstage gesprochen. Weißt du noch? Bernd musste immer arbeiten,
seine Familie kam um 11 Uhr und ging um 22 Uhr und du hast in der Küche gestanden und gekocht.«
Ich hatte die Bilder noch vor mir.
»Ich habe es gehasst. Eine Woche vorher habe ich eingekauft, drei Tage vorher
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