Ausgeliebt
er schlief. Richards Gesicht, während er mit dir schlief. Es hatte nichts von diesen verlegenen
ersten Malen, bei denen einem bewusst ist, dass dieser andere Körper fremd und neu ist. Es war vertraut, leicht und wunderschön.
Es war richtig.«
Edith erinnerte mich.
»Richtig ist, dass er morgens um 4 Uhr ging, damit keinem seiner Nachbarn auffallen könnte, dass er nachts nicht zu Hause gewesen war. Und das ist auch bei den
folgenden Malen so gewesen.«
Charlotte antwortete.
»Er ist genauso hingerissen wie du. Seine Gefühle sind echt. Sonst hätte er nicht gleich am nächsten Tag angerufen und dir
gesagt, dass er dich wiedersehen will.«
|174| Wir hatten uns seit dieser Nacht jede Woche getroffen. Immer mittwochs, ich hatte anfangs meine Termine umgelegt, seit meine
Reise beendet war, war es einfacher. Nachts kamen SMS, tagsüber telefonierten wir. Ich hatte mich verliebt, und keiner wusste
davon.
Edith wurde ungeduldig.
»Und jetzt hast du den Scheiß. Am Wochenende ist er in Berlin, seit Donnerstag hast du mal wieder nichts von ihm gehört, wartest
auf ein Zeichen von ihm und sitzt an deinem Geburtstag allein.«
Mitternacht.
Mein Handy piepte zweimal. SMS. Ich drückte auf den kleinen Umschlag, spürte meinen Herzschlag.
»Alles Liebe zum Vierzigsten. Ich wünsche dir ein neues Jahrzehnt, auf das die Götter neidisch werden. Georg.«
Ich lächelte, obwohl ich merkte, dass sich die Enttäuschung als Träne ihren Weg suchte.
Mit meinem Glas stellte ich mich wieder ans Fenster. Der Sturm hatte etwas nachgelassen.
Jetzt war ich vierzig. Und ich drückte mir die Daumen, dass Georgs Wunsch erfüllt würde.
So oder so.
Das Handy piepte erneut. Die zweite SMS.
»Geburtstagskuss. Bis bald. Richard.«
Meine Seele beruhigte sich. Das fing ja doch gut an.
Ich ignorierte Edith, zwinkerte Charlotte zu und ging ins Bett. Das Handy nahm ich mit.
Acht Stunden später wurde ich vom Klingeln des Telefons wach. Auf meine verschlafene Stimme hin meldete sich meine Mutter.
»Guten Morgen, Geburtstagskind, wir wünschen dir einen ganz tollen Tag, alles, was du dir wünschst, soll in Erfüllung gehen.«
|175| Mir war vom schnellen Aufstehen schwindelig, ich setzte mich an den Küchentisch. Ich sah auf die Küchenuhr, 8:30 Uhr. Langsam sortierte ich mich. Meine Mutter rief mich gerade an, ich hatte Geburtstag, ich war jetzt vierzig, ich brauchte
einen Kaffee und eine Zigarette. Meine Mutter war noch nicht fertig.
»War in Hamburg auch so ein Mordssturm? Meine Güte, ich dachte, uns haut es das Dach weg, ist aber alles heil geblieben, wir
haben schon geguckt, wieso bist du denn noch so verschlafen?«
»Ich bin vom Telefon wach geworden, ich stell mir doch keinen Wecker.«
Sehnsüchtig sah ich auf die Espressomaschine. Ich konnte sie während des Telefonierens nicht benutzen, sie machte zu viel
Lärm. Meine Mutter auch.
»Na, jedenfalls ist hier alles o.k. Und bei dir? Du hättest aber doch sowieso jetzt aufstehen müssen oder hast du gestern
Abend schon den Tisch gedeckt?«
»Den Tisch gedeckt?« Ich verstand kein Wort. Meine Mutter schien es zu merken.
»So, Schätzchen, also, hab einen tollen Tag, ich gebe dir noch deinen Vater.«
Ich starrte weiter die Espressomaschine an. Dann hörte ich die tiefe Stimme meines Vaters.
»Hallo, Christine, ich wünsche dir Gesundheit, Glück, Erfolg und lauter erfüllbare Wünsche. Wie fühlt man sich mit vierzig?«
Ich räusperte mich, meine Stimme war trotzdem heiser.
»Danke dir, ich fühle mich eigentlich wie immer.«
Seine Antwort klang missbilligend.
»Jetzt solltest du auch mal endlich mit dem Rauchen aufhören, man liest immer von rauchenden Frauen über vierzig, die Herzinfarkte
bekommen.«
Ich antwortete automatisch. »Wenn sie die Pille nehmen. Die habe ich mir ja abgewöhnt.«
|176| Er schnappte nach Luft. Manchmal war er prüde.
»Christine! Na, du bist erwachsen, ich meine es ja nur gut. Ich will mich nicht in dein Leben einmischen. Wann kommen deine
Gäste?«
Ich überlegte noch, welche Gäste er meinen könnte, als ich die Stimme meiner Mutter im Hintergrund hörte.
»Och, Heinz, das musst du doch nicht sagen, das ist doch Ines’ Überraschung.«
Ich stand auf und heizte die Espressomaschine an.
»Tochter, du hast es gehört, vergiss die Frage. Also, noch mal alles Gute und einen schönen Tag.«
Wir verabschiedeten uns, ich legte den Hörer auf die Station und ließ die Espressomaschine
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