Ausgeliebt
Hause.«
Charlotte antwortete.
»Ihr geht Abendessen, du kannst das allein entscheiden. Du willst bestimmt nicht nach Hause.«
Richard fragte: »Soll ich dir ein Hotelzimmer buchen? Es gibt ein Hotel hier in der Nähe, da bringe ich auch manchmal Mandanten
unter. Dann kannst du auch etwas trinken und musst nicht nachts noch nach Hamburg fahren.«
Ich war erleichtert. »Gerne.«
Er hatte ein Lächeln in der Stimme. »Schön.« Er nannte mir die Adresse.
»Ich hole dich um 19 Uhr da ab und dann machen wir uns einen tollen Abend, o.k.?«
»Wunderbar.«
Ich fühlte mich genau so.
Ich suchte die neue Bluse, die ich mit Dorothea zusammen in Eppendorf gekauft hatte. Dorothea hatte mich überredet, ich fand
den Ausschnitt zu tief. An diesem Abend fand ich sie in Ordnung und packte sie ein.
Und rote Wäsche.
Als ich im Bett lag und mir Richards Gesicht in meine Erinnerung zog, fühlte ich mein Lampenfieber. David Cassidy, dachte
ich und lächelte.
Edith schüttelte missbilligend den Kopf.
Charlotte flüsterte:
»Morgen.«
Und ich freute mich sehr.
|169|
Vierzig
Es war Samstagabend, 22 Uhr, in den Nachrichten hatte es eine Unwetterwarnung gegeben, der Herbststurm, der über den Norden fegte, sollte Windgeschwindigkeiten
bis zu 160 Stundenkilometern erreichen.
Es war der Vorabend meines vierzigsten Geburtstages.
Ich hatte Dorotheas Vorschlag, in diesen Tag hineinzufeiern, abgelehnt, stattdessen saß ich allein in meiner Wohnung, hatte
alle Stecker aus den Steckdosen gezogen, zwei Kerzen angezündet und sah mit einer Mischung aus Furcht und Faszination zu,
was der Sturm draußen vor meinem Haus durcheinander brachte.
Auf dem Tisch vor mir lag eine dieser Frauenzeitschriften, die für Frauen ab vierzig gedacht sind. Ich hatte mich noch nie
dafür interessiert, bislang hatten sie genauso viel mit mir zu tun wie Angel- oder Hundezeitschriften. Gestern hatte mir Nina
eine Ausgabe zum Squashspielen mitgebracht und dabei gelacht.
»Hier, Christine, damit du weißt, wie du dich übermorgen fühlst.«
Ich war irritiert, bedankte mich aber höflich und steckte das Heft ein.
Jetzt blätterte ich die Seiten um und fühlte mich immer noch nicht gemeint. Weder wollte ich mich nach zwanzigjähriger Ehe
trennen, noch hatte ich Probleme mit einer pubertierenden Tochter, auch mein Chef war keine zwanzig Jahre jünger als ich.
Wechseljahre war ein anderes Thema, Facelifting sowieso, nichts davon betraf mich. Ich schob das Heft zur Seite und |170| schaute aus dem Fenster. Auf der Straße schlidderte eine Mülltonne vorbei.
Edith war mit dem Heft noch nicht fertig.
»In zwei Stunden bist du vierzig, du könntest zwanzig Jahre verheiratet sein, ein Facelifting würde bei dir kein Schönheitschirurg
mehr ablehnen, und als deine Mutter vierzig wurde, hast du gerade Abitur gemacht. Mit neunzehn. Du bist genau die Zielgruppe
für diese Hefte.«
Auf meiner Terrasse fiel ein Gartenstuhl um. Ich stand auf, um zu gucken, ob der Strandkorb dem Sturm standhielt. Bis jetzt
sah es so aus. Der Stuhl kreiselte über die Terrassenplatten.
Ich sah mein Spiegelbild in der Fensterscheibe. Trotzig lächelte ich mir zu und wartete auf Charlottes Stimme.
»Du siehst gut aus, gar nicht wie vierzig.«
Edith antwortete prompt.
»Bei dem Licht vielleicht.«
Ich setzte mich wieder an den Tisch. Neben dem Weinglas und dem Aschenbecher lag mein eingeschaltetes Handy. Auf dem Display
gab es keinen Hinweis für eine SMS oder einen Anruf. Ich kontrollierte den Empfang, vielleicht gab es bei diesen Windstärken
Probleme, das Netz war stabil. Ich schob das Handy zur Seite und das Weinglas näher zu mir heran.
Vierzig.
Ich hatte Abitur gemacht, einen Beruf gelernt, ich hatte geheiratet und war bald geschieden. Ich würde nicht mehr studieren,
ich würde kein Profisportler mehr werden, auch keine Kinder bekommen. Ich gehörte kaum noch zur Zielgruppe der privaten Fernsehsender,
niemand würde mehr »junge Dame« zu mir sagen, die Kosmetikindustrie hatte Pflegeprodukte für meine reife Haut entwickelt.
Ich hatte ganz viel richtig gemacht und genauso viel falsch. Morgen war mein Geburtstag, ich saß hier allein und wurde melancholisch.
Der Sturm rüttelte an allen Fenstern, draußen flog meine grüne Plastikgießkanne vorbei. Ich folgte ihr mit meinen Blicken,
sie kam noch aus dem alten Leben.
|171| Das Handy lag immer noch ruhig und unbeleuchtet da. Ich kontrollierte wieder das Display. Es
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