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Ausgeliehen

Ausgeliehen

Titel: Ausgeliehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Makkai
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davon zu überzeugen, dass Bibliotheken mit Stühlen, Büchern und Geld besser funktionieren. Ich trug das kleine Schwarze vom College, als ich Ende November den Union League Club betrat und mir der Geruch von Menschen entgegenschlug – dunkel, muffig und maskulin. Seit einer Ewigkeit hatte ich kein Eau de Cologne mehr gerochen. Ich atmete tief ein und lauschte dem Gewirr der gedämpften Stimmen.
    Loraine trug ein blassgoldenes Kleid und winkte mir mit einem Drink in der Hand zu. Rocky konnte ich nicht entdecken, er verschwand leicht in einer Menge dicht zusammenstehender Menschen. Als ich an der Bar auf meinen Gin Tonic wartete, beobachtete ich, wie sich die professionellen Gäste von Wohltätigkeitsveranstaltungen mit einem ersten Schluck Wein warmliefen, sah Gruppen von Bibliothekarinnen, die sich in den Ecken zusammendrängten, die Haare korrekt in der Mitte gescheitelt. So würde ich nach Ansicht meines Vaters auch einmal aussehen. Und da stand, nur wenige Meter von mir entfernt, Janet Drake. Sie sah schön aus, ihre Schultern waren in einen glänzend grünen Schal gehüllt, den sie fest um den Körper zog, und ihre Kiefermuskeln traten sogar dann hervor, wenn sie ihren angetrunkenen Gesprächspartnern zulächelte. Sie sagte etwas und lachte gleichzeitig, als wäre das, was sie sagte, so witzig, dass sie es nicht ohne Lachen herausbrachte, trotzdem sah sie nicht fröhlich aus. So verhielt ich mich auch manchmal, ich nannte das mein Daisy-Buchanan-Lachen. Es war ein leichtes, luftiges Unterhaltungslachen, das sich im besten Fall sprudelnd, witzig und intelligent anhörte, im schlimmsten aber wie eine erstickende Katze. Ich hatte es mir bei einer Freundin meiner Mutter abgeschaut, die diese Technik perfekt beherrschte und dazu harmonisch mit ihrem Silberschmuck klimperte. Während ich Janet beobachtete, wurde mir klar, dass ich selbst zu diesem Mittel griff, wenn ich mich äußerst unwohl fühlte. Ich tat es nie bewusst, und es war nie aufrichtig.
    »Du scheinst das zu brauchen«, sagte jemand neben mir, und ich merkte, dass ich noch immer an der Bar stand, wie eine Betrunkene, das halb leer getrunkene Glas mit dem Gin Tonic in der Hand.
    Die Locken des Mannes hatten die gleiche Farbe wie sein Smoking. Er war extrem overdressed.
    »Du hast mich ertappt«, sagte ich. Er hatte große, glänzende Zähne. Er streckte die Hand aus.
    »Ich bin Glenn«, sagte er, »ich bin der Penis.«
    »Wie bitte?«
    »Der Pianist heute Abend.« Er machte eine Kopfbewegung zu dem großen leeren Flügel in der Ecke.
    »Oh.« Das erklärte den Smoking. »Ich bin Lucy.«
    Wie zufällig, aber nicht sehr dezent, warf er einen Blick auf meine linke Hand. »Normalerweise spiele ich Schlagzeug beim St. Louis Symphony. Das hier nennt man, denke ich mal, unter seinem Niveau arbeiten.« Er lachte, und der Barkeeper gab ihm etwas Braunes mit Eis. »Bist du Bibliothekarin?«
    »Wir sind leicht zu erkennen.«
    »Nein, überhaupt nicht – du siehst jünger aus. Ich meine, als die meisten.«
    »Danke«, sagte ich, und er atmete endlich aus. Ich erzählte ihm, wo ich arbeitete und wie wenig ich derartige Veranstaltungen mochte.
    »Ich war mal Bibliothekar. In der Musikbibliothek in Oberlin, als Student. Meine Haupttätigkeit bestand darin, Bleistiftnotizen von den Noten der letzten Spielzeit der Orchester wegzuradieren. Wenn es mir endlich gelungen war, packten sie die Noten für ihre nächsten Konzerte ein, und so wurde ich eigentlich nie fertig.«
    Ich lachte. »Ich verbringe jeden Tag viel Zeit damit, Buntstiftgekritzel wegzuradieren.«
    »Na, viele Bücher würden durch ein bisschen Gekritzel besser werden!« Das war ein bisschen lahm, aber ich ließ es gelten. Er hatte sein Glas schon ausgetrunken. »Normalerweise beobachte ich die Menschen, wenn ich spiele, aber hier haben sie den Flügel zur Wand gedreht.« Er blickte zu einem Mann in einem billigen Anzug und mit Schürze, der eine Kinnbewegung zum Flügel machte und auf seine Uhr tippte. Glenn stellte sein Glas ab und trocknete sich mit der Cocktailserviette die Hände. »Mist, meine Finger werden immer kalt, bevor ich spielen muss.« Er hob die Hände zum Mund und hauchte sie an. Er versuchte, mich zu einer Art zwinkerndem, hypnotisierendem Augenkontakt zu verleiten, und es funktionierte. »Irgendwelche Sonderwünsche?«, fragte er.
    »Etwas, das sie dazu bringt, Geld rauszurücken.«
    Er lachte. »Ich werde Brother, Can You Spare a Dime spielen. Hör zu.« Er atmete tief ein, als wüsste

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