Ausgeliehen
ich nicht, was nach den Worten »Hör zu« üblicherweise kam. »Ich bin hier ziemlich eingespannt, und, wie gesagt, habe ich heute Abend keine Zeit, mich unter die Menschen zu mischen, aber nächste Woche habe ich die Premiere eines Stücks. Oder besser gesagt, ein Orchester spielt die Premiere meines Stücks. Es ist zwar Jazz, aber wirklich überhaupt nicht langweilig. Du solltest kommen.« Ich hob meine Augenbrauen und nickte. »Ich meine, ich werde dann zwar auf der Bühne sein, aber danach gibt es eine Party.«
»Vielleicht komme ich«, sagte ich.
Er zog eine Visitenkarte aus der Tasche, notierte eine Adresse und »Starr Hall, 15:00, Sam. 3. Dez.«, dazu seine Telefonnummer, und gab sie mir. Er hob meine Hand zu seinem Gesicht und einen Moment lang dachte ich, er wolle sie küssen, aber er schaute sie nur an. »Spülst du?«
»Wie bitte?«
»Spielst du Klavier?«
»Ja.«
»Hab ich mir gedacht, gute Finger.« Er schaute grinsend zu mir zurück, als er zum Flügel ging, seine Zähne waren so weiß wie sein Hemd.
Ich drehte mich um und sah Rocky, der sich neben den Oliven platziert hatte. »Es ist großartig«, hatte er einmal zu mir gesagt, »weil es jedem unangenehm ist, mich anzusprechen, fühlt sich auch keiner schlecht, wenn ich auf einer Party allein bin. Die Leute halten das für meinen Normalzustand. Also muss ich mir keine Gedanken machen, was die Menschen von mir halten, und kann ruhig dasitzen und sie beobachten.«
»Das meinst du doch nicht im Ernst«, hatte ich gesagt, »und so denken die Leute auch nicht.« Aber als ich ihn jetzt so sah, wurde mir klar, dass die Leute doch so dachten. Es musste jedoch eine Zeit gegeben haben, zumindest in der Grundschule, als die Kinder ihm im Gegenteil ihre ganze Aufmerksamkeit schenkten, ob nun im positiven oder im negativen Sinn. Ich fragte mich, wann dieser Wechsel wohl stattgefunden hatte.
Mein Glas war leer, und als der Barkeeper nachschenkte, schwor ich mir, langsam zu trinken. Ich kratzte mich schnell und kräftig hinten an den Oberschenkeln, mein Ausschlag wurde schlimmer, obwohl ich seit über einem Monat weder Shorts noch Röcke getragen hatte. Ich wusste, dass es am Bürostuhl lag, weil mein Rücken inzwischen auch rot war, bis hinauf zu den Schulterblättern.
Vier Männer standen bei Janet Drake, aber der eine, der ihr direkt gegenüberstand, musste ihr Ehemann sein. Er war einen Kopf größer als alle anderen, und seine Blicke schienen eine hektische Fliege durch den Raum zu verfolgen. Keinen der anderen Männer mit ihren breiten Schultern, dem dröhnenden Lachen und den donnernden Stimmen konnte man als feminin bezeichnen. Mr Drakes Gesicht war zu etwas verzerrt, was er wohl für ein ironisches Lächeln hielt, doch es sah eher aus, als versuche er, sein ganzes Gesicht auf die Stelle zwischen seinen Augen zu verdichten. Alle paar Sekunden schien er kurze Antworten oder Meinungen von sich zu geben, dabei bewegte er den Kopf schnell auf und ab, wie diese Plastikvögel, die den Schnabel in ein Wasserglas tauchen. Er passte nicht hierher, ebenso wenig wie die Bibliothekarinnen, trotz seiner gebräunten Haut und der mit Flaggenmotiven geschmückten Krawatte.
Ich überlegte, ob Sonja Ian wohl erlauben würde, so lange wach zu bleiben, bis er Die Schatzinsel ausgelesen hatte.
Glenn begann zu spielen. Er war gut, besser als die üblichen Partymusiker, die ein zwölfminütiges Potpourri von Andrew Lloyd Webber herunterklimpern konnten. Er spielte, als hätte er mindestens vierzig Finger.
Mein zweites Glas war halb leer. Ich verließ die Bar und ging in Richtung Rocky, aber Loraine packte mich an der Schulter. »Ich habe gesehen, dass du dich unterhalten hast.« Hätte ich mich bewegt, wäre sie zu Boden gefallen.
»Tolle Party!«
»Ja, und du musst voll auf Zack sein! Erzähl ihnen von den Programmen.«
»Okay«, sagte ich und wischte ihre Spucke von meiner Wange. Ich schaute zu Rocky hinüber, um zu sehen, ob er diese Szene mitbekommen hatte, aber er war plötzlich mit den Oliven beschäftigt.
»Und bleib dieser verärgerten Frau fern. Mach die Sache nicht noch schlimmer.«
»Okay.« Ich tauchte unter ihrem Griff hindurch, und die Tatsache, dass ihr plötzlich meine Schulter als Stütze fehlte, brachte sie dazu, auf eine Frau mit einem enormen Diamantenkollier zuzutaumeln. Ehrlich gesagt, je mehr ich trank, desto stärker war ich versucht, zu Janet Drake zu gehen und ihr eine Lektion über den Ersten Zusatzartikel der Verfassung zu erteilen.
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