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Ausgeliehen

Ausgeliehen

Titel: Ausgeliehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Makkai
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umzubringen. Aber jetzt wird sie ihr Leben wieder auf die Reihe bekommen.« Er musste, abgesehen davon, dass er viel gelesen hatte, auch verdammt viele Fernsehserien gesehen haben.
    »Du armes Lämmchen «, sagte meine Mutter. »Ihr solltet hier übernachten. Wir haben die Couch und eine Luftmatratze.« Nachdem sie ihr Gepäck beiseitegeräumt hatten, schleppte meine Mutter Berge von Decken an und blies die Luftmatratze mit dem Fön auf. »Wo wollen wir sie hinlegen?«
    »Definitiv in die Bibliothek«, sagte Ian. »Ich will unbedingt in einer Bibliothek schlafen.«
    Ich schaute zu, wie meine Mutter das Bett machte und einen alten Teddybär von mir dazulegte, den sie im Schrank gefunden hatte. Mein Vater gab mir einen Klaps auf den Rücken, auch Ian, und sagte: »Wer möchte ein Bier haben?«
    Ian erschrak. »Nein, danke«, sagte er. »Alles cool.« Er schaute zu mir, um zu sehen, ob er das Richtige gesagt hatte, und ich unterdrückte ein Grinsen. Offensichtlich hatte man ihm beigebracht, das zu sagen, falls jemand bei einer Schulfeier versuchen sollte, Druck auf ihn auszuüben.
    »Du bist also cool? Du bist ein echt cooler Typ?« Mein Vater schmunzelte.
    »Ian, du brauchst meinen Vater nicht ernst zu nehmen«, sagte ich.
    Mein Vater holte sich ein Bier, dann setzte er sich auf die Couch und deutete auf einen Stuhl für Ian. »Setz dich, ich zeige dir etwas. Du wirst deinen Augen nicht trauen.«
    Ian setzte sich, wahrscheinlich erleichtert, dass das Gespräch nicht noch zu dem Vorschlag geführt hatte, Crack zu nehmen.
    Mein Vater schob die dünnen, hellen Haare, die er über seinen kahl werdenden Kopf gekämmt hatte, zur Seite und zeigte Ian seine Stirn. »Jetzt schau genau hin, hier unter der Lampe, und sag mir, was du da siehst.«
    Ian beugte sich zu ihm. »Sind Sie gestürzt?«
    Mein Vater lachte triumphierend. »Nein! Damit wurde ich geboren! Zwei Höcker, einer auf jeder Seite!« Er berührte erst den einen Höcker, dann den anderen, und sagte zu mir: »Jetzt bist du dran, zeig deine.« Ich rollte mit den Augen und strich die Haare zurück, die sonst die beiden Knubbel bedeckten. Sie waren nicht besonders auffallend, aber wenn ich die Haare zurückkämmte, wurde ich in einem von zwanzig Fällen gefragt, ob ich mir den Kopf gestoßen hatte. »Hörner!«, verkündete mein Vater. »Hast du schon mal von dem französischen Komponisten Debussy gehört?«
    Ian nickte, als habe er von ihm gehört. »Debussy hatte das auch, diese zwei Hörner. Sie sind das Zeichen eines großen Genies. Mehr Platz fürs Gehirn.«
    Ian klatschte anerkennend in die Hände. »Das ist hammermäßig!«
    »Hammermäßig«, wiederholte mein Vater lachend, »Lucy, es stellt sich heraus, dass dein Vater hammermäßig ist.«

18
    Leningrader Schokoladenfabrik
    Mein Vater dozierte über die Großartige Dynastie der Hulkinows, und ich lehnte mich zurück und schloss die Augen. Es war eine Erleichterung, dass sich mal ein anderer mit Ian beschäftigte. Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen, doch das war natürlich nicht möglich.
    In meinem Kopf lief ein ständiger Stummfilm über die Drakes ab. Ihr Pastor würde bei ihnen im Wohnzimmer sitzen. Vielleicht Pastor Bob. Oder drei eifrige Kriminalbeamte. Ich würde gern glauben, dass ich mir mehr Sorgen ihretwegen machte als meinetwegen. Doch wenn das so gewesen wäre, wäre ich umgekehrt, hätte Ian eigenhändig an ihrer Tür abgeliefert und die Konsequenzen auf mich zukommen lassen. Die Hörner logen nicht. Mein Vater und ich, wir waren uns ähnlich, wir taten freundlich und stahlen alles, was wir haben wollten. Der Teufel denkt nur an sich.
    Aber nein. Meine größte Sorge galt Ian. Warum sonst hätte ich mein Leben für ihn weggeworfen?
    »Okay«, sagte mein Vater, »und jetzt erzähle ich dir von meiner Schokoladenfabrik.«
    Obwohl Ian sichtlich müde war, saß er kerzengerade da und nickte. Das war die Geschichte, mit der man einen Roald-Dahl-Fan am neugierigsten machen konnte. Ich hatte sie oft gehört, im Laufe der Jahre hatte sich die geradlinige Erzählung eines rebellierenden pubertären Jungen in etwas verwandelt, was an die späteren Werke von García Márquez erinnerte, und noch später war sie zum Schlüsselereignis der russischen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts geworden.
    »Russland war damals, als ich aufgewachsen bin, die UdSSR «, sagte er. »Hast du davon gehört?« Ian nickte. »Sehr streng, sehr langweilig. Und wir hatten keine gute Schokolade. Und Schokolade ist meine

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