Ausgeliehen
ich.
»Endlich hast du also ein Abenteuer«, sagte mein Vater.
»Eigentlich nicht. Ich helfe nur aus.«
Er warf mir einen konspirativen Blick zu, einen, der sagte: Hör zu, wir haben zusammen Wäsche geklaut. Deinen ersten Kaschmirpulli hast du auf diese Art bekommen. »Gut«, sagte er. »Gut.« Er trank seinen Kaffee, während meine Mutter sich nach Jannas Selbstmordversuch erkundigte.
»War er es, der sie gefunden hat?«, fragte sie. Ich hatte erzählt, sie habe eine Packung Tabletten geschluckt, ich wisse aber nicht, welche, und habe gerade noch rechtzeitig die Notrufnummer gewählt.
»Nein«, sagte ich jetzt, »er war in der Schule.«
»Geht er auf die Chicago Latin?«
»Nein, auf eine andere.«
»Wo ist sein Vater?«
»Das weiß kein Mensch.«
Meine ganze Kindheit war so abgelaufen, dass ich beim Essen über jede Minute des Tages hatte Rechenschaft ablegen müssen. Ich bekam gute Noten in den naturwissenschaftlichen Fächern, weil meine Mutter mich zwang, ihr jedes Experiment, das wir im Labor gemacht hatten, immer wieder haargenau zu erklären.
Endlich ging sie schlafen. Ich wollte auch ins Bett gehen, als mein Vater sich über den Tisch beugte.
»Du könntest ein bisschen Geld gebrauchen, oder?« Er fragte es triumphierend, immerhin hatte ich in den letzten vier Jahren kein Geld von ihm genommen. Aber er wusste, dass ich dieses Mal ja sagen musste. Er gab Menschen Geld, so wie die Familie meiner Mutter den Menschen Essen gab. Und er war gleichermaßen beleidigt, wenn jemand sein Angebot ablehnte.
Ich stützte den Kopf auf die Arme, auf die Oberfläche des kalten Tisches. »Ja, ich könnte es gut gebrauchen. Ich bin kurzfristig hergekommen, und ich habe keine Ahnung, wie lange ich bleibe. Aber ich zahle es dir natürlich zurück.«
Er ging in die Bibliothek, in der Ian schlief, und kam eine Minute später mit einem braunen Umschlag voller Banknoten zurück, Fünfziger und Hunderter. Später zählte ich tausend Dollar.
»Das ist die Kasse für den Notfall. Behalte es. Brauchst du den Mercedes? Es ist ein gutes Auto. Dein Auto wird dir bald auf der Straße auseinanderfallen. Da hast du dir was andrehen lassen. So ein Ding nennt man eine Schrottmühle.«
»Mein Auto ist in Ordnung.« Abgesehen davon, dass ich nicht vorhatte, in Chicago zu bleiben, war ich sicher, dass sein Auto mehr Aufmerksamkeit bei der Polizei erregen würde als meines. Zum einen kaufte er seine Autos immer von einem Mann namens Onkel Nicolai, der in Wirklichkeit gar nicht mein Onkel war und der offensichtlich keiner Arbeit nachging, außer dass er anderen Russen unter die Arme griff. Dazu kam noch, dass mein Vater seinen vom Staat Illinois ausgestellten Führerschein ein Jahr zuvor verloren hatte und nun mit einem Führerschein fuhr, den er irgendwo in Colorado ergattert hatte, wo er Immobilien besaß.
»Wo fährst du anschließend hin?«, fragte er.
»Nach Hause«, sagte ich. »Nach Missouri.«
Er schaute mich wieder mit diesem Geklaute-Reinigungswäsche-Blick an. »Wo fährst du wirklich hin?«
Ich musste wohl rot geworden sein, ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte. Aber das war auch egal, wie ich feststellte. Er konnte nicht alles erraten, und selbst wenn er es getan hatte, schien er seltsamerweise stolz auf mich zu sein. »Kommt darauf an, wie lange das hier dauert. Vielleicht fahre ich dann noch in den Osten und besuche ein paar Freunde aus dem College.«
Er grinste: »Aha. Das ist perfekt. Fährst du auch an Pittsburgh vorbei?« Wenn mein Vater die amerikanischen Städte aussprach, hörten sie sich an wie Inseln im Schwarzen Meer.
Ich konnte nicht schnell genug nachdenken. »Vielleicht.« Er wusste, dass dort meine Mitbewohnerin vom College lebte, also hätte ich kaum nein sagen können, auch wenn ich wacher gewesen wäre.
»Gut, dann kannst du etwas für mich mitnehmen. Ich habe ein paar Sachen für meinen Freund Leo, die ich nicht mit der Post schicken möchte. Du kannst sie ihm bringen, ich gebe dir seine Adresse. Und ich werde ihm sagen, dass du kommst.«
»Moment mal, nein«, sagte ich. »Was sind das für Sachen?«
Er lachte. »Papiere. Was hast du denn gedacht, etwa Drogen? Glaubst du, dein Vater handelt mit Drogen? Oder schickt Uran durch die Gegend? Dein Vater, der russische Waffenhändler, ist es das, was du denkst?«
»Ich frage mich nur, ob es etwas ist, wofür man mich festnehmen kann«, sagte ich. Ausgerechnet ich, die Gesetzestreue.
Er ging ins Arbeitszimmer und kam mit einer
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