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Ausgeliehen

Ausgeliehen

Titel: Ausgeliehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Makkai
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Schuhschachtel zurück. »Schau her«, sagte er und nahm den Deckel ab. Es sah nach Quittungen und sonstigen gefalteten Papieren aus.
    »Das sind kleine Fische, ja?«
    Ich sagte: »Ich möchte nichts damit zu tun haben.«
    Er setzte den Deckel auf die Schachtel und rieb sich die Schläfen. »Lucy, ich durchschaue dich«, sagte er. »Irgendwas stimmt nicht mit dir. Okay, du fährst also nach Pittsburgh und erledigst das, vielleicht wird dann alles gut. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.« Ich war mir nicht sicher, ob er darauf hinweisen wollte, dass ich die Tochter meines Vaters war, oder darauf, dass er mich nicht fallenlassen lassen würde. In beiden Fällen hatte er keine Ahnung, wovon er sprach.
    Ich schüttelte den Kopf und sagte: »Gut, ja.« Ich wollte ins Bett. Ich wusste, sobald ich wirklich zusagen würde, musste ich bis Pittsburgh fahren, auch wenn Ian plötzlich nach Hause wollte. Wenn ich die Schachtel nicht abliefern würde, könnte das entweder zu kleinen Unannehmlichkeiten führen, oder jemand könnte sogar getötet werden. Ich wollte keinen Mord auf dem Gewissen haben, auch wenn es bedeuten würde, die Entführung einige Tage länger hinauszuzögern. Ich hätte überhaupt nicht zustimmen sollen. Aber ich war so müde, dass meine Augen mehr blinzelten, als dass sie offen waren. Ich wollte ins Bett.
    »Du bist ein gutes russisches Mädchen«, sagte mein Vater. Er verschwand mit der Schachtel, und als er zurückkam, hatte er den Deckel mit einem breiten Klebeband von allen Seiten fest verklebt. Die Adresse schrieb er auf die Rückseite eines Umschlags. »Ich sage Bescheid, dass du kommst«, sagte er.

19
    Mut, Herz, Verstand
    Das ist das Durcheinander, das Lucy veranstaltet hatte. Das ist der Junge, der in dem Durcheinander lebte, das Lucy veranstaltet hatte.
    Das ist der Mann, der dem Jungen Geschichten erzählte, der in dem Durcheinander lebte, das Lucy veranstaltet hatte.
    Das ist die Schokolade, die der Geschichte den Geschmack gab, die dem Jungen erzählt wurde, der in dem Durcheinander lebte, das Lucy veranstaltet hatte.
    Das ist der verzweifelte Bürgermeister, der mit der Schokolade bestochen wurde, die der Geschichte den Geschmack gab, die dem Jungen erzählt wurde, der in dem Durcheinander lebte, das Lucy veranstaltet hatte.
    Das ist Russland, das ein Mythos gewesen sein könnte, das den verzweifelten Bürgermeister hervorbrachte, der mit der Schokolade bestochen wurde, die der Geschichte den Geschmack gab, die dem Jungen erzählt wurde, der in dem Durcheinander lebte, das Lucy veranstaltet hatte.
    Das ist Lucy, die an einem Mittwochmorgen auf der Couch ihrer Eltern verzweifelt über die Zwänge nachdachte, die zur Entführung geführt hatten, der Entführung eines traumatisierten Jungen, der Bücher las, die in den Regalen lebten, die die Wände eines kleinen Backsteinhauses füllten, in dem das Durcheinander entstanden war, das Lucy veranstaltet hatte.
    Ian und ich schliefen uns an diesem Morgen aus, aber mein Vater schlief noch länger. »Du kannst dir nicht vorstellen, was mit seinem Magen los ist«, sagte meine Mutter, als sie für uns Rühreier machte. »Das Hotel müsste uns eigentlich den Schaden ersetzen.«
    Ian stocherte in seinem Ei, trank aber fünf Gläser Orangensaft. Ich wollte ihm sagen, er solle aufhören, damit wir nicht den ganzen Vormittag Pipipausen machen müssten, aber meine Mutter dachte ja, ich würde ihn nur zum Krankenhaus fahren.
    Bevor wir das Haus verlassen wollten, ging ich in die Bibliothek und stieg auf die Luftmatratze, um meinen Reisepass zu holen, der im Aktenschrank meiner Mutter lag. Er sollte eigentlich sowieso bei mir sein, aber meine Mutter hatte darauf bestanden, ihn für mich aufzuheben, damit ich ihn nicht verlor. Ich fragte mich, ob sie sich vorstellte, dass meine Wohnung voller Puppen, Stickeralben und Glitzerzeug war, oder ob sie dachte, mein Pass könnte unauffindbar hinter mein Bett rutschen, wie es meinem Mathebuch im vierten Schuljahr passiert war. Der Reisepass war da, in meinem Aktenordner, vor meiner Geburtsurkunde und den Prüfungsergebnissen für die Aufnahme ins College. Außerdem befanden sich da noch viele Berichte, die schreckliche Dinge wie meine Unfähigkeit, still an einem Schreibtisch zu sitzen, behaupteten. Auf dem Foto des Reisepasses war ich zwanzig Jahre alt, mit strahlendem Gesicht, kurz vor einer Italienreise mit meinen Eltern. Ich steckte den Pass in meine Tasche. Es ging nicht darum, dass ich aus dem Land fliehen

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