Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ausgeliehen

Ausgeliehen

Titel: Ausgeliehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Makkai
Vom Netzwerk:
Ohio?« , sang er mit britischem Akzent. »Oh, here! Oh, Iowa, Ohio, Oahu, Hawaii!«
    Ich nahm eine Hand vom Lenkrad, um auf meinen Jeans zu applaudieren.
    »Das ist großartig!«, sagte er. »Sogar ohne Zunge würde ich noch zurechtkommen.« Das erinnerte mich daran, was Sophie Bennett über ihn gesagt hatte: dass er zu den Kindern gehörte, die schon zurechtkämen, egal was ist. Aber ich konnte das nicht wirklich glauben, oder was tat ich hier sonst eigentlich?
    Nachdem Glenn weg war und das monotone Fahren meinen Adrenalinspiegel normalisiert hatte, konnte ich fast wieder klar denken und hatte das Gefühl, ernsthaft mit Ian reden zu müssen. Ich wollte ihm etwas Hilfreiches und Tiefgründiges sagen, etwas, woran er sich erinnern würde, wenn ich im Gefängnis saß. Würde ich dabei das Risiko eingehen, ihn so wütend zu machen, dass er mich ans Messer lieferte – dann sollte es eben so sein. Hauptsache, es war nicht alles umsonst.
    Aus irgendeinem dummen, unverständlichen Grund sagte ich: »Weißt du, die ersten richtigen Bibliothekare waren Mönche und Nonnen. Sie kopierten Bücher handschriftlich und bewahrten sie in Klöstern auf.«
    »Oh.« Er legte seine Füße wieder auf das Armaturenbrett. Das Gute an Zehnjährigen war, dass sie sich von unlogischen Aussagen nicht verwirren ließen. »Sind die Bibliotheken deshalb so ruhig? Weil die Mönche nicht sprechen durften?«
    »Vielleicht. Ich habe darüber noch nie nachgedacht.«
    »Warum hören Mönche auf zu reden?«
    »Aus religiösen Gründen. Aber ganz sicher bin ich mir nicht.«
    »Aber die Bibel sagt nie, man soll nicht reden. Das weiß ich definitiv. «
    »Ich denke, sie haben es teilweise getan, weil es ihnen gefiel. Sie mochten es, in Bergen und an anderen ruhigen Orten zu leben.« Ich war lächerlich vorsichtig – versuchte, nur ins Wespennest zu piksen und nicht mit voller Wucht hineinzustechen. »Sie haben nicht geheiratet. Sie zogen es vor, mit anderen Mönchen zusammenzuleben. Oder die Nonnen mit anderen Nonnen. Das tun die Menschen schon seit langer Zeit, manche entscheiden sich, mit ihren Freunden zu leben und nicht zu heiraten. Früher musste man Mönch oder Nonne sein, wenn man so leben wollte, aber das war wirklich ein hartes Leben. Heute machen es viele Leute einfach nur, um glücklich zu sein.«
    Er schob den Beifahrersitz so weit nach hinten, wie es möglich war. »Wenn Leute früher eine Bibliothek besuchten, mussten sie dann schweigen?«
    »Ich glaube nicht, dass Leute die Bibliotheken besuchten. Die Mönche passten nur auf die Bücher auf. Manchmal ketteten sie die Bücher sogar an die Regale, damit man sie nicht stehlen konnte.«
    »Weil sie so kostbar waren?«
    »Genau. Sie hatten wunderschön gemalte Buchstaben, und es dauerte Monate, ein Buch zu kopieren.«
    »Wenn ich ein Buch kopiert hätte, würde ich immer ein paar eigene Worte oder eine verschlüsselte Nachricht hinzufügen. Über irgendein großes Geheimnis. Glaubst du, dass sie das auch gemacht haben?«
    »Vielleicht. Was für eine Art Geheimnis?«
    »Über Schätze. Ich glaube, ich würde gerne Mönch werden.«
    »Ich glaube, dafür plapperst du zu viel.«
    Ich versuchte, die Sache von einem anderen Blickwinkel aus zu beleuchten, doch nach wenigen Minuten schlief er auf dem nach hinten gekippten Sitz ein.

23
    Ein Licht, zwei Lichter, rotes Licht, blaues Licht
    Während ich fuhr, listete ich in Gedanken alle Menschen auf, die Ians Verschwinden mit mir in Zusammenhang bringen konnten. Sollten die Behörden den winzigsten Hinweis haben, einen einzigen anonymen Anruf, dann hätten sie jetzt schon eine Auswahl an Zeugen. Mein Vater würde für mich lügen, aber meine Mutter würde alles durcheinanderbringen, und nur Gott wusste, was Glenn machen würde. Loraine würde natürlich Ian auf Plakaten oder in der Presse wiedererkennen, aber sie hatte keine Ahnung, wie viel Zeit er mit mir verbracht hatte.
    Tim, mein Vermieter, würde merken, dass ich weg war, aber er wusste nichts von Ian. Mir fiel ein, dass ich ihm mitteilen sollte, dass ich verreist war. Sophie Bennett, Ians Lehrerin an der Hannibal Day, war auch nicht unbedenklich. Sie wusste, dass ich mir um Ian Sorgen machte. Aber sie kannte die Familie ziemlich gut und würde annehmen, dass sie ihn irgendwo eingesperrt hatten. Wahrscheinlich konnte sie es nicht erwarten, es mir zu erzählen, und fragte bestimmt in der Bibliothek nach, wann ich zurück sein würde. Das Schlimmste wäre, wenn sie mit Rocky reden und er ihr

Weitere Kostenlose Bücher