Ausgeliehen
ich möchte den Labaznikow Spezial, mit einer extra Portion Senf, mein Herr. Ich schoss ihn in den Kopf mit einer Labaznikow.«
Ich fand das Haus und parkte hinter dem roten und dem schwarzen BMW , die in dieser kleinen Einfahrt deplatziert wirkten. Die Labaznikows kannte ich von Partys in meiner Kindheit, damals war ich fein herausstaffiert gewesen und kroch mit fünfzehn weiteren Kindern, die alle fließend Russisch sprachen, unter den Tischen herum. Ich konnte ungefähr zehn Worte, die meisten davon hatten etwas mit Essen zu tun. Mein einziger vollständiger Satz war: »Ja ne gawarju po-russki.« Ich spreche kein Russisch.
Als ich die Schachtel von hinten hervorholen wollte, sah ich, wie Ian seinen Gurt öffnete. Ich sagte: »Du bleibst hier, das dauert dreißig Sekunden.«
»Ich muss pinkeln!« Er machte seine Tür auf. »Und ich wollte immer schon einen lebendigen Labaznikow kennenlernen!« Weil ich müde und gestresst war und mein Kopf nur halb funktionierte, brachte ich die Lügen durcheinander. Oder besser: Ich hatte die erste Lüge vergessen, die ich meinen Eltern präsentiert hatte, nämlich dass ich Ian in Chicago abgeben und dann Richtung Osten weiterfahren würde, um Freundinnen aus der Collegezeit zu besuchen. Daran erinnerte ich mich erst, als mein Finger schon halb an der Klingel war. Ich sagte zu Ian, wenn er bereit sei, im Auto zu warten, würde ich bei der nächsten Toilette anhalten.
Aber da war Marta Labaznikow schon da, sie riss die Tür auf, neigte sich nach hinten, breitete die Arme aus und führte die Willkommenstheatralik von Frauen in italienischen Filmen auf. Die russischen Freunde meines Vaters wurden immer europäischer und affektierter, je länger sie in den USA lebten.
»Lucy«, rief sie, »du bist so riesig geworden!« Wenn ich dick wäre, wäre ich nun beleidigt, aber sie meinte ja nur, es wäre ein Wunder, dass ich nicht mehr sieben Jahre alt war. »Und das ist der arme mutterlose Junge!« Ian grinste, als sie einen Arm um ihn schlang und ihn dabei fast erwürgte. Marta war keine zierliche Frau. Ich fragte mich, ob mein Vater ihr die Geschichte von Ian erzählt hatte, oder ob sie selbst folgerte, es müsse sich um dasselbe Kind handeln. Oder ob mein Vater davon ausgegangen war, dass Ian noch bei mir sein würde und sie darauf vorbereitet hatte. Wie dem auch sei, es war klar, dass wir da nicht gleich wieder abziehen konnten – was an sich schon in Ordnung gewesen wäre, aber in der Luft hing ein dicker, chemischer Geruch, wie von Katzenstreu, nur noch stärker. Plötzlich war mein Hals dicht.
Leo erschien hinter seiner Frau, mit der gleichen Italienische-Mamma-Gestik. Ich war überrascht zu sehen, wie runzlig er war; sein Kopf war mit hellbraunen Flecken bedeckt. Am liebsten hätte ich wie eine russische Großmutter gerufen: »Seht nur, wie alt ihr geworden seid!«
Leo bewegte sich steif durch die Diele und deutete mit einem Finger mit geschwollenen Knöcheln auf Ian, der endlich von Martas Busen freigekommen war. »Ich habe eine Frage an dich«, sagte er. Ian sah überrascht aus und zum ersten Mal, seit wir ausgerissen waren, richtig verängstigt. Leo fragte: »Was haben Möbel und Sprache gemeinsam?«
Ich sagte: »Daran kann ich mich erinnern!«, besonders, um Ian zu beruhigen. Rätsel waren Leos Methode, mit Kindern zu kommunizieren. Bei den Geburtstagspartys meines Vaters war er immer mit Rätseln wie diesem zu mir gekommen und war immer überrascht gewesen, wenn mir eine Antwort einfiel. Ian schaute mich mit einer Mischung aus Erleichterung und Verwirrung an. Vielleicht, weil Leo ihn nicht ins Kreuzverhör nahm.
»Beide haben Stil«, sagte ich.
Ian lachte. »Oh, jetzt habe ich es verstanden. Wie Stilmöbel!« Er war wahrscheinlich das erste Kind in der Geschichte, das diesen Witz begriff.
Vorsichtig umarmte ich Leo.
Als wir die Mäntel ausgezogen hatten, übergab ich Leo die Schachtel, doch anstatt sie aufzumachen, betrachtete er den Hund auf dem Deckel und sagte: »Wer will einen Hund anschauen, der so traurig aussieht?« Er fuhr mit der Hand über den Deckel und stellte die Schachtel auf den Couchtisch. »Gut«, sagte Marta, »und jetzt wird gegessen. Leo, du führst durchs Haus, und ich decke den Tisch.« Ich protestierte nicht.
Leo führte uns in das Esszimmer, sein linkes Knie knarrte bei jedem Schritt ein bisschen, als wäre es aus verrostetem Metall. »Das ist Anja«, sagte er. Er war vor einer Kommode voller Fotos in Silberrahmen stehen geblieben und hielt
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