Ausgeliehen
Abend bei seiner Großmutter lassen, aber ich erklärte, dass er mit uns im Hotel bleiben würde, weil sie erst am nächsten Tag für ihn da sein könne. Am Empfang des Hotels bat ich um drei Einzelzimmer, und Glenn hielt mich nicht zurück. Sollte ich es schaffen, mich heute Nacht von ihm zu trennen, würde er ein Zimmer für sich allein brauchen. Ich ging in mein Zimmer, um mir die Zähne zu putzen und den Angriff zu planen, doch noch bevor ich die Zahnpasta ausspucken konnte, klopfte er an meine Tür.
»Was gibt’s?«, fragte ich.
Er ging an mir vorbei und setzte sich auf die Bettkante, auf die Tagesdecke mit Pfirsichblüten, und sagte: »Lucy, was in Gottes Namen geht hier vor?«
Ich drehte einen Stuhl in Richtung Zimmermitte und setzte mich. Ich sagte: »Seine Mutter ist sehr krank. Wie meinst du das?«
Er schüttelte den Kopf, als wollte er Wasser aus den Ohren schütteln. »Ich habe in meinem Zimmer gesessen und nachgedacht. Und je länger ich nachgedacht habe, umso seltsamer kommt mir alles vor. Du fährst nach Chicago und hast nicht einmal Klamotten zum Wechseln eingepackt? Und das Kind soll bei seiner Großmutter bleiben, und alles, was er dabeihat, ist nur ein Rucksack?«
Ich sagte: »Er bleibt nur eine Woche bei ihr, oder zwei.«
»Keine Schulbücher? Und warum ruft er seine Mama nicht an?«
Ich stand auf. »Du denkst, das ist ein Krimi? So spannend ist das nicht. Und ich bin mir sicher, dass er sie von seinem Zimmer aus anruft.«
Er sagte, wie ein Staatsanwalt, der einen mit seinem Verhör in die Ecke treibt: »Beim Abendessen hast du gesagt: ›Dieses Mädchen in meiner Highschool.‹ Ich dachte, du hättest gesagt, dass seine Mutter auch auf die Chicago Latin ging. Dann hättest du sagen müssen › unsere Highschool‹, oder nur ›Chicago Latin‹.«
»Versuchst du mich festzunageln? Du machst dich lächerlich.«
Er lag auf dem Bett, als wäre es sein Eigentum, und starrte die Decke an. »Ich meine, ist er dein Kind, oder was?«
Ich schrie, aber praktisch vor Erleichterung und nicht aus Wut. »Du glaubst, dass er mein Sohn ist?«
»Das würde jedenfalls einen gewissen Sinn ergeben. Vielleicht lebt er bei deinen Eltern, du hast ihn abgeholt, um mit ihm seinen Vater zu besuchen, was weiß ich.«
Jetzt lachte ich. Ich lachte so heftig, dass ich auf das Bett fallen wollte, aber nicht neben Glenn, also setzte ich mich wieder auf den Stuhl. »Du glaubst, dass meine Eltern meinen Sohn aufziehen, während ich ausgerechnet in Hannibal lebe? Und dass ich mit dir ausgegangen bin und ihn geheim gehalten habe? Und warum nennt er mich Miss Hull?«
Er stützte sich auf die Ellenbogen. Sein Gesicht war zerknirscht wie bei einem kleinen Jungen, den man ausschimpft. Gott, er war eifersüchtig. »Was zum Teufel ist denn dann los?«
»Glenn, du bist hier nicht in einem Thriller«, sagte ich. »Seine Mutter ist sehr krank, aber das ist schon das ganze Drama. Schau, wenn dich das wirklich so aufregt, dann brauchen wir vielleicht für eine Weile Abstand voneinander. Vielleicht solltest du uns unsere Sache morgen allein erledigen lassen. Geh du doch zum Kunstmuseum, während ich ihn abliefere.«
»Ja«, sagte er, »das ist wahrscheinlich das Beste. Ich fahre mit euch in die Stadt, und dann nehme ich mir eine Pause, um klar denken zu können.« Ich musste mir nur noch überlegen, wie ich ihn morgen für immer loswerden würde, aber das war schon ein guter Anfang. Er stand auf und verließ kopfschüttelnd mein Zimmer. Ich machte mir keine Sorgen, dass er Ian am nächsten Tag löchern würde, denn ich wusste, er würde nur schmollend dasitzen, einem Zehnjährigen ähnlicher als der echte Zehnjährige.
Ich versuchte das Fenster zu öffnen, aber es gelang mir nicht. Es war jedoch ein Raucherzimmer, also steckte ich mir die erste Zigarette aus meiner Packung an und setzte mich auf den Stuhl. Ich hatte schon vergessen, wie der Rauch im Hals brannte. Das Zimmer wurde klar und glatt und vibrierend, und in meinen Fingern und Füßen kribbelte es. Ich schaltete den Fernseher ein und fand ausgerechnet eine Filmversion von Auf der Flucht. Ich schaute mir die zweite Hälfte an und stellte mir vor, was wäre, wenn Ian und ich beschlossen hätten, Glenn nicht mitzunehmen, ob wir durch ganz Chicago gerannt wären, über den grünen Fluss, und uns in Wolkenkratzern versteckt hätten. Ich schlief ein und träumte genau das.
21
1000 Fiaskos – Du entscheidest selbst!
Du bist allein in einem fremden Hotelzimmer. Nebenan
Weitere Kostenlose Bücher