Ausgelöscht
Und was, wenn das nicht die Art von medizinischer Geschichte war, die Heller schreiben wollte, wenn er sich dabei vorgekommen wäre wie ein Quacksalber, ein Verräter an dem Beruf und der Berufung, die er liebte? In dem Fall hätte ihm die Tötung von Snow als der einzige Ausweg erscheinen können, der einzige Weg, die Reinheit dessen zu beschützen, was er seine Religion nannte – die Neurochirurgie.
Heller hatte schon einmal getötet. Hatte die Tatsache, dass er Arzt geworden war, dass er Menschen heilte, nur die tief verwurzelte Dunkelheit in ihm überdeckt – bis jetzt? War seine Lebensgeschichte – sein Karma – letztendlich so unausweichlich wie die John Snows?
Schwerkraft. Umlaufbahnen. Die unerbittliche Anziehungskraft der Vergangenheit. Konnte man sich wirklich jemals davon befreien?
Clevenger hörte Billy aus seinem Zimmer kommen. Er drehte sich um.
Billy trug schlabbrige Jeans, ein graues, langärmeliges Sweatshirt und eine Baseballmütze mit dem Logo eines Skateboard-Herstellers. Er hatte sich ein paar Eisenperlen in die Enden seiner Dreadlocks geflochten. »Willst du, dass ich die Sachen zurückhole, die ich Jet gegeben habe?«, fragte er.
Als er hörte, wie Billy Heller beim Vornamen nannte, fragte Clevenger sich, wie missbraucht Billy sich tatsächlich fühlte, wie ernst er die ganze Sache nahm. Und die Tatsache, dass er überhaupt in Betracht zog, zu ihm zu gehen, war noch beunruhigender. »Ich möchte, dass eins völlig klar ist«, sagte Clevenger zu ihm. »Du sprichst nicht mit Jet Heller. Du gehst nicht zu Jet Hellers Büro. Du nimmst nicht Jet Hellers Anrufe entgegen. Verstanden?«
»Ich wollte die Sache doch nur wieder ausbügeln.«
»Ich möchte, dass du mir dein Wort gibst, dass du dich von ihm fern hältst.«
Billy zuckte mit den Achseln. »Versprochen«, seufzte er. »Irgendwelche Vorschläge, was ich Casey sagen soll?«
»Was willst du ihr denn sagen?«
»Dass sie uns beiden das Leben versaut.«
Billys unverbrämte Worte ließen Clevenger beinahe schmunzeln. Er widerstand der Versuchung. »An deiner Stelle würde ich im Moment gar nichts sagen. Lass ihr Zeit.«
Billy nickte. »Seh ich dich, wenn ich nach Hause komme? Sagen wir, so gegen fünf?«
»Abgemacht.« Er sah ihm hinterher, als er aus der Wohnung ging. »He, Billy«, rief er, bevor sich die Haustür schloss.
Billy steckte den Kopf wieder zur Tür herein. »Ja?«
»Du wirst heute chauffiert – von dem Streifenwagen vor der Tür. Sag ihnen einfach nur, wo sie dich absetzen sollen.«
»Cool.« Er ging.
Clevenger griff nach dem Telefon und rief North Anderson an, um ihm das Neueste über Heller zu berichten.
»Vielleicht sollte ich noch mal im Mass General vorbeischauen«, sagte Anderson. »Um herauszufinden, ob irgendjemand bestätigen kann, dass Heller
im
Krankenhaus war, als Snow erschossen wurde.«
»Gute Idee. Was liegt sonst noch an?«
»Ich setze im Moment alle Hebel in Bewegung, um George Reeses Finanzen auf den Grund zu gehen. Ich habe mehrere Aktienkonten gefunden, ein halbes Dutzend Geldmarktkonten – vorerst. Der Kerl war steinreich, aber durch den Verlust von fünfundzwanzig Millionen durch Vortek könnte sich das geändert haben.«
»Wie hoch schätzt du sein Vermögen?«
»Bislang, wenn er nicht noch Geld im Ausland versteckt hat, um die dreißig, fünfunddreißig Millionen. Aber ich weiß nicht, welche anderen Kredite die Beacon Street Bank noch ausstehen hat. Wenn außer Snow-Coroway noch ein paar andere große Kreditnehmer nicht mit der Kohle rübergekommen sind, könnte die ganze Sache implodieren.«
»Gibt es irgendeine Möglichkeit zu überprüfen, welche Einzahlungen tatsächlich geleistet wurden? Coroway hat mir erzählt, er habe die Hälfte der Forschungsgelder für Vortek zurückgegeben. Ein solcher Blindgänger war das Projekt. Ich würde gern wissen, ob er das Geld wirklich zurückgegeben hat.«
»Ich brauche möglicherweise ein bisschen Hilfe von Vania O’Connor, wenn er es nicht mit der Angst zu tun bekommen hat. Das eine oder andere Passwort wäre nett.«
»So leicht lässt er sich nicht einschüchtern. Ruf ihn an.«
»Werd ich. Wohin bist du unterwegs?«
»Zu Hellers Büro.«
»Brauchst du Rückendeckung?«
»Nein. Er wird schon nicht im Krankenhaus über mich herfallen. Wenn er unser Mann ist, lauert er mir in einer dunklen Gasse auf – oder sprengt meinen Wagen in die Luft.«
»Leute tun die komischsten Sachen, wenn sie sich in die Ecke getrieben fühlen.«
»Ich
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