Ausgelöscht
sie sich auf dem Ellbogen auf. »Ich bin an der Reihe«, verkündete sie. Sie berührte mit einer Fingerspitze sein Knie, dann ließ sie ganz langsam die Hand an seinem Schenkel hinaufgleiten.
10
13. Januar 2005
Clevenger landete um kurz vor 14 Uhr auf dem Reagan-National-Flughafen. Er schaltete das Handy wieder ein und stellte fest, dass er zwei Nachrichten hatte. Er hörte sie auf dem Weg zum Taxistand ab. Die erste war von Detective Coady, der ihm mitteilte, dass er einige interessante Neuigkeiten von Grace Baxters Obduktion habe. Die zweite stammte von J. T. Heller, der Bescheid sagte, dass er die Operation an der Blinden, der er das Augenlicht zurückzugeben hoffte, auf diesen Abend vorgezogen habe. Sie hatte angefangen unter migräneartigen Kopfschmerzen zu leiden, was Heller befürchten ließ, dass ihr Tumor sich rapide ausbreitete. Er fragte, ob Billy vielleicht bei der Operation zuschauen wolle.
Clevenger rief zuerst Hellers Büronummer an, und seine Sprechstundenhilfe Sascha meldete sich. »Frank Clevenger hier, Dr. Heller hatte mich um Rückruf gebeten«, erklärte er.
»Er hat mir Anweisung gegeben, Sie gleich durchzustellen«, sagte sie. »Aber ich wollte mich zuerst bei Ihnen bedanken.«
»Wofür …?«
»Für das, was Sie mir gesagt haben –über John Snow. Dass es Menschen gibt, die man nicht retten kann. Dass ihnen zu zeigen, dass sie einem am Herzen liegen, manchmal das Einzige ist, was man für sie tun kann.«
»Und nur sehr wenige Menschen tun das.«
»Kommen Sie bald wieder vorbei?«
Clevenger bemerkte die echte Wärme in ihrer Stimme. Und etwas in ihm hätte liebend gern die nächste Frage gestellt – ob Sascha mit ihm ausgehen wollte. Aber er wusste, dass ihre Antwort nicht viel besagen würde. Er hatte ihr Absolution von ihren Schuldgefühlen angeboten, und wahrscheinlich war es das, wonach sie verlangte. Nach der Botschaft, nicht nach dem Überbringer. »Ich bin sicher, dass ich demnächst wieder vorbeikommen werde«, antwortete er.
»Nun, dann hoffe ich, Sie zu sehen«, erwiderte sie etwas förmlicher. »Bleiben Sie dran.«
»Frank«, donnerte Heller einen Augenblick später.
Er klang, als hätte er gut dreißig Tassen Kaffee intus. »Ich habe Ihre Nachricht erhalten«, erklärte Clevenger. »Ich denke, Billy wäre sehr gern dabei.«
»Dann bringen Sie ihn doch um, sagen wir, vier Uhr zum General.«
»Leider bin ich nicht in der Stadt«, sagte Clevenger. »Ich werde versuchen, zu arrangieren, dass ein Freund ihn vom Boxtraining abholt und zu Ihnen bringt – immer vorausgesetzt, dass er bei der Operation dabei sein will. Gegebenenfalls könnte er auch mit der U-Bahn fahren.«
»Ich kann ihn abholen«, bot Heller an. »Ich habe bis zur Operation nichts in meinem Terminkalender. Und ich könnte die Fahrt nutzen, um mich zu entspannen. Ich bin immer total angespannt, wenn ich vor einer Operation stehe. Ich gehe noch mal den kompletten Schlachtplan durch, verstehen Sie?«
»Den Schlachtplan …«
»Meine Strategie. Jede Operation ist ein Krieg, mein Lieber. Und dieser Tumor, der sich um den Ophthalmicus meiner Patientin geschlungen hat, will genauso brennend den Sieg davontragen wie ich. Das will er, seit sich die erste Stammzelle vom Programm gelöst hat, das Gott für sie geschrieben hat, um sich selbstständig zu machen, sich einzunisten, wo sie nicht hingehört. Er versucht mit jedem Quäntchen seines Protoplasmas die Baupläne der Natur nach seinen eigenen perversen, mörderischen Vorstellungen umzuarbeiten. Wissen Sie was?«
Clevenger fragte sich, ob Heller möglicherweise die Schwelle zum Größenwahn überschritten hatte. »Was?«
»Heute ist der Tag der Abrechnung.«
»Mit dem Tumor.«
»Mit dem Tumor. Mit der Krankheit. Mit der Entropie. Heute werde ich, so Gott will, wiederherstellen, was Er in seiner unerschöpflichen Weisheit eingerichtet hat.« Er kicherte. »Was meinen Sie, Frank, eine kleine Dosis Lithium für Ihren neuen Freund?«
Eines war Clevenger klar: Sein neuer Freund klang tatsächlich, als bräuchte er medikamentöse Hilfe. Aber vielleicht war es ungerecht, seine geistige Normalität in Frage zu stellen. Vielleicht brauchte man, um den Kopf einer Frau zu öffnen und Teile ihres Gehirns herauszuschneiden, einfach die Kraft eines Kriegers, die Überzeugung, dass man gegen das Böse in die Schlacht zieht. »Wie kommen Sie darauf, dass Sie nur eine kleine Dosis bräuchten?«, gab Clevenger scherzend zurück.
»Gut bemerkt«, sagte Heller. »Also,
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