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Ausgelöscht

Ausgelöscht

Titel: Ausgelöscht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Ablow
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weniger leer. Er war überzeugt, dass selbst sie seine Vorstellungskraft nicht mehr befeuern konnte. Ihm waren die Ideen ausgegangen. Und für John Snow hieß das so viel wie tot zu sein.
    Sie beugte sich dichter heran, küsste ihn auf den Mund.
    Er spürte ihre Lippen kaum. Er war außerhalb ihrer Reichweite und entglitt ihr immer mehr. Mit einem Mal war ihm schwindelig.
    Sie küsste seinen Hals.
    Er fühlte, wie sich seine Kopfhaut kribbelnd zusammenzog. Arme und Beine waren steif. Er schaute Grace Baxter an, sah sie drei Meter entfernt auf dem Zweisitzersofa sitzen. Doch er fühlte noch immer die Wärme ihrer Lippen. Wie konnte das sein?, wunderte er sich.
    »Ich liebe dich«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
    Er hörte die Worte wie ein entferntes Echo. Und da wusste er, was gleich passieren würde. Der unaussprechliche, undenkbare Verrat seines kurzschließenden Gehirns. Der Verlust aller Kontrolle, allen Lichts, aller Liebe. Er fühlte, wie er vor ihr zurückwich. Oder fiel er?
    »John«, sagte sie. »Was ist mit dir? Mein Gott!«
    Er beobachtete alles, was geschah, als wäre er ein Dritter im Zimmer, sah, wie sich seine Augen verdrehten, sich sein Hals verrenkte, seine Glieder zitterten, sich sein Rücken verbog wie ein Lappen, der ausgewrungen wird. Er sah sein groteskes Aussehen, gespiegelt im Entsetzen in Graces Gesicht. Und trotzdem, selbst während sich seine Kiefer wie Stahlzwingen schlossen, selbst als er das Blut schmeckte, das aus seiner Zunge strömte, sah er, wie sie die Hände nach ihm ausstreckte, fühlte er, wie sie fest die Arme um ihn schlang.
    Er erwachte auf dem Fußboden, in ihren Armen. Sie weinte und wiegte ihn wie ein Baby. Er sah zu ihr auf.
    »John?«, sagte sie und streichelte seine Wange. »Es ist alles in Ordnung. Es wird alles wieder gut.«
    Er wollte etwas sagen, aber sein Mund fühlte sich an, als wäre er voller Rasierklingen. Seine Hose klebte an seiner Haut. Er hatte sich nass gemacht.
    »Sag nichts«, sagte sie. »Du hast dir auf die Zunge gebissen. Versuch nicht zu sprechen.«
    Er lag stumm da, noch immer benommen, und sah sie an.
    Sie wiegte ihn weiter. »Du darfst dir das nicht länger antun«, sagte sie. »Hast du mich verstanden? Du musst dieses Projekt aufgeben. Vergiss es. Du kannst es ja in einem Jahr wieder aufnehmen, oder in fünf, oder nie. Es spielt keine Rolle.«
    Er spürte ihre Tränen auf seinem Gesicht.
    »Es ist doch nur eine Idee«, sagte sie. »Du darfst dich nicht davon kaputtmachen lassen. Ich werde das nicht zulassen. Ich liebe dich.«
    Er fand es merkwürdig, dass er das wahre Ausmaß ihrer Hingabe in seiner finstersten Stunde erfahren sollte, fand es seltsam, dass sie ihn trotz seines Zusammenbruchs liebte. Doch ein anderer Teil von ihm wusste, dass er dieses Geschenk niemals auf andere Weise erlangt hätte. Denn jetzt war er sich absolut sicher, dass sie
ihn
liebte, nicht sein Gehirn. John Snow. Den Mann, nicht die Maschine. Und so wie reine, bedingungslose Liebe wirklich heilen, wirklich inspirieren kann, wusste er tief in seinem Herzen, dass er den Kampf, zu erschaffen, was so viele andere für ein bloßes Hirngespinst hielten, niemals aufgeben würde. Denn in diesem Moment in ihren Armen – unrasiert, blutend, kaum Herr seiner Glieder – schien absolut alles erreichbar.

13

    14. Januar 2005
    Clevenger traf kurz vor acht Uhr vor Vania O’Connors Haus ein. Es handelte sich um eine große Villa im Kolonialstil in einer ruhigen Seitenstraße von Newburyport. Er parkte und stieg aus. Es war zwei Grad über null. Aber bei dem Wind kam es ihm wie minus zwanzig Grad vor. Die Luft glitzerte von hauchzarten Schneeflocken.
    O’Connors Frau, eine hübsche Blondine mit einem brillanten Kopf für Zahlen, setzte gerade aus der Einfahrt zurück. Sie arbeitete als Controller für einen in Boston ansässigen Hedgefonds. Sie ließ das Fahrerfenster herunter. »Vania wartet schon auf dich«, rief sie Clevenger zu. »Er hat gesagt, du bringst Kaffee mit.«
    Clevenger hielt den Becher hoch. »Groß, mit Sahne, vier Stück Zucker.«
    »Er kann es brauchen. Er war fast die ganze Nacht auf. Könntest du ihn bitte daran erinnern …?«
    »Dass er den Nachtisch zum Montessori-Kindergarten bringt. Ich weiß längst Bescheid.«
    Sie lächelte, kurbelte das Fenster wieder hoch und fuhr davon.
    Clevenger ging den Steinweg entlang, der zu der äußeren Kellertür an der Seite des Hauses führte. Er klopfte und zog sie auf. »Vania?«
    »Gestern war ich’s noch«, antwortete

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