Ausgeloescht
überrascht, dass er geantwortet hat, daher gehe ich ein letztes Risiko ein, als ich höre, dass die Tür sich öffnet.
»Warum tun Sie uns das an, Dali?«
Ein winziges Zögern. Dann erwidert er:
»Antue? Ich tue niemandem etwas an. Ich lagere nur Fleisch.«
Er reißt mir die Augenbinde herunter und stößt mich in die Dunkelheit.
Teil 2
Kapitel 33
Hinter meinen Augen reise ich, in meinem Kopf, und ich spreche sowohl zu den Lebenden als auch zu den Toten. Matt ist dort, Alexa ist dort, mein gesichtsloses ungeborenes Kind ist dort. Auch Bonnie ist dort, doch sie ist wieder stumm, und ihre Augen sind voller Traurigkeit.
Es war dunkel, als ich meine Augen schloss. Es ist immer dunkel. Dreimal am Tag erscheint ein Rechteck aus Licht am Fuße meiner Zellentür, und Essen wird hereingeschoben, jedes Mal das Gleiche: Hafergrütze mit Orangen am Morgen, mittags ein Schinken- oder Roastbeefsandwich mit einem Apfel, Hot Dogs und grüner Salat am Abend. Zu jedem Abendessen bekomme ich Vitamintabletten. Und Wasser. Wasser gibt es immer genug.
»Iss alles auf«, hat Dali mir befohlen. »Wenn du nicht isst, wirst du bestraft. Du bekommst von mir alles, was du zum Überleben brauchst: tierisches Eiweiß, Obst und Gemüse gegen den Skorbut. Dazu Vitamine, denn ich muss eine Möglichkeit finden, den durch Kalziummangel bedingten Zahnausfall zu verhindern, ohne dass es mich zu teuer kommt. Milch verdirbt zu schnell. Wir werden sehen, wie es funktioniert.«
Ich habe keine weiteren Erlebnisse im Bestrafungszimmer gehabt. Alles in mir schreit danach, Dali Widerstand zu leisten, aber das darf ich nicht riskieren, sonst gefährde ich das Baby, das mir Halt gibt und zu meiner Rettungsleine geworden ist, zusammen mit dem Licht hinter meinen Augen.
Drei Wochen sind vergangen. Drei Wochen Dunkelheit und quälendes Nichtstun. Es gibt keine Bücher, kein Fernsehen, kein Radio. Ich habe nichts zu tun außer zu denken, zu essen, zu trainieren, von einem Ende der Zelle zum anderen zu gehen, die Toilette zu benutzen und zu schlafen. Einmal habe ich angefangen, mich selbst zu befriedigen, nur um die entsetzliche Leere zu vertreiben, doch dann kam mir der Gedanke, dass er mich mittels einer Infrarotkamera beobachten könnte, und ich ließ es bleiben.
Einmal die Woche besucht er mich, wie versprochen, damit ich mir die Zähne putze und sie mit Zahnseide reinige. Wie alles andere laufen auch diese Besuche immer gleich ab. Ohne Warnung flammt das Licht auf und blendet mich. Die Tür öffnet sich, und er lähmt mich mit der Elektrowaffe. Dann legt er mir die Augenbinde an. Wenn ich wieder stehen kann, führt er mich zu der Wasserschüssel, die er mitgebracht hat. Er gibt mir Zahnseide, und ich benutze sie. Er gibt mir eine Zahnbürste, auf der die Zahnpasta schon aufgetragen ist, und ich putze mir die Zähne und spüle mir den Mund aus. Dann lähmt er mich wieder mit dem Elektroschocker. Er dreht mich aufs Gesicht, noch während ich zucke, nimmt mir die Augenbinde ab und verlässt die Zelle. Ich bleibe einsam, wimmernd und von Schmerzen geplagt in der Dunkelheit zurück.
Beim ersten Mal hat er etwas Seltsames gesagt: »Großartig, Nummer fünfunddreißig.« So nennt er mich. Nummer 35. Ich speichere es ab in der Betäubung, die mich erfüllt.
Bei seinen letzten beiden Besuchen hat er nichts gesagt. Ich saß auf dem Fußboden, während er geduldig darauf wartete, dass ich fertig wurde. Diese Geduld hasse ich inzwischen mehr als alles andere, denn sie ist Gleichgültigkeit, und hier, wo ich bin, ist Gleichgültigkeit ein ganz besonderes Gift.
Nur drei Wochen sind vergangen, und ich spüre bereits, dass ich unter dem Druck zu zerbrechen drohe. Ich sehne mich danach, dass er etwas zu mir sagt. Ich verabscheue ihn, aber ich wünsche mir so sehr, dass er spricht oder mich anbrüllt oder schlägt ... irgendetwas, das mir den Kontakt mit einem anderen Menschen vermittelt, ganz gleich, wie abartig er sein mag.
Ist es die gleiche Einsamkeit, die geprügelte Frauen bei den Männern hält, die sie misshandeln? Empfinden diese Frauen es genauso? Eine kalte, dunkle, trostlose Einsamkeit in der Stille, in der das Schweigen und der Mangel an Zuwendung zum lodernden Schmerz geworden sind?
Ich sehne mich nach allem, was mir die eigene Existenz bestätigt. Es müsste nicht mal ein Mensch sein. Einmal habe ich einen Film gesehen, in dem ein Kriegsgefangener sich mit einer Ratte anfreundet. Damals hat diese Szene, hat der Mann mich abgestoßen. Heute
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