Ausgeloescht
kleiner verschwommener Lichtfleck, annähernd wie ein Mensch geformt. Ich spreche laut zu ihm, doch es antwortet mir mit seinem Geist.
»Was wird, wenn er von dir erfährt?«, frage ich. »Was soll ich dann tun?«
Du wartest, Mutter. Und du hoffst. Wenn du willst, kannst du beten, aber nur, wenn du möchtest. Der Glaube, den du hier brauchst, ist in dir und in mir. Gott braucht keinen Glauben, um zu überleben. Er ist hier, in diesem Moment, neben dir, egal, was du von ihm hältst.
Baby ist sehr fromm, was mich gleichzeitig tröstet und wütend macht.
»Gott ist hier? Unsinn.«
Er ist hier.
»Und von was für einem Gott sprechen wir? Dem ernst dreinblickenden alten Knaben mit dem langen weißen Bart? Dem indischen Gott mit acht Armen und dem geheimnisvollen, wissenden Lächeln? Oder sollen wir uns aufs Tierreich verlegen? Ein weißer Büffel in der Ferne vielleicht?«
Gott braucht keine Verkörperung, Mutter. Gott kann Aktivität sein. Oder ein liebender Ehemann, der ein Kind aufzieht. Gott ist, ein gutes Buch zu lesen oder ein Leben zu retten. Gott ist Stolz auf eine gut gemachte Arbeit und Vergebung, die dem gewährt wird, der sie verdient. Du brauchst nicht niederzuknien oder Weihrauch zu verbrennen oder in Angst vor einem Blitzschlag zu leben. Du brauchst nur zu leben und zu lieben und dein Bestes zu geben. Das ist Gott. Das ist der Himmel. Um ihn zu finden, müssen wir nicht warten, bis wir sterben. Er ist hier und jetzt in uns allen.
Baby ist weise, wie alle körperlosen Kinder aus Licht es so an sich haben. Seine Worte hallen in der Luft über der Wiese wider, auch wenn sie nur Gedanke gewesen sind und nicht ausgesprochen wurden. Sie sind melodiös wie Vogelsang und genauso rein und klar.
Ich atme tief durch die Nase ein und rieche den Duft der Blumen. Ich hebe den Kopf zum Himmel, damit die ewige Mittagssonne ungehindert auf mein Gesicht scheinen kann, und auf den Lippen schmecke ich den Sonnenzucker. Hinter meinen Augen schließe ich die Augen, aber hier gibt es keine Dunkelheit, nur reines Licht.
»Die Jury hat noch nichts beschlossen, Baby, aber ich muss schon sagen, mir gefällt diese Version des Himmels besser. Weißt du, welches Problem ich immer mit der Vorstellung vom Himmel hatte? Dass die Leute, die an den Himmel glauben, kein allzu großes Interesse haben, eine bessere Welt zu hinterlassen. Verstehst du, was ich meine? Ich kaufe auch niemandem diese Reinkarnationsgeschichte ab. Aber wenigstens sagt sie einem, dass man auf diese Welt zurückkommt. Deshalb ist es in deinem eigenen Interesse, sie in einem besseren Zustand zurückzulassen als dem, in dem du sie vorgefunden hast.«
Baby leuchtet heller, dann weicher.
Glaube ist nicht wichtig, Mutter. Was du im Augenblick tust, das bist du auch.
Ich rieche den Jasmin, und ich lache. Es gehört nicht hierher, dieses Lachen, dazu ist es hier zu schön. Das Lachen trägt zu viel Verzweiflung in sich.
»Ich entfliehe im Geiste an einen Ort, den es nicht gibt, der für mich aber wirklicher ist als die Wirklichkeit, und ich spreche zu einem leuchtenden Baby Querstrich Theologen, bei dem es sich in Wahrheit um eine Zellansammlung in meinem Leib handelt. Ich glaube, damit qualifiziere ich mich als eine Irre, nicht wahr?«
Es treibt dich nicht in den Wahnsinn, es hält dich bei Verstand. Ich denke darüber nach.
Das Geräusch von Schritten, die sich draußen auf dem Gang nähern, reißt mich aus dem Licht. Ich mache die Augen auf und befinde mich wieder in der Schwärze.
Nein, nein, nein! Lass die Augen diesmal zu! Das war der Plan!
»Schaffen Sie sich Siege«, hat Barnaby Wallace uns geraten. »Ob sie klein sind, spielt keine Rolle. Wichtig ist nur, dass Sie sie spüren. Folter und Gefangenschaft dienen dazu, Ihnen etwas wegzunehmen. Schaffen Sie sich Dinge, die Sie behalten können. Durch kleine Ungehorsamkeiten, oder durch Trotz. Solange Sie die Hoffnung auf die Möglichkeit einer Flucht oder einer Rettung nicht aufgeben, werden Sie wahrscheinlich bei Verstand bleiben.«
Die Schritte kommen näher. Ich kneife die Augen so fest zu, wie ich nur kann. Die Schritte verstummen, und das Licht flammt auf. Selbst durch meine Lider hindurch ist es grell. Ich höre das Klirren der Schlösser, die entriegelt werden, und öffne meine Augen ein wenig. Licht dringt ein, doch ich bin nicht so geblendet, dass ich nichts sehen könnte.
Gut!
Ich halte die Augen offen und täusche die übliche Desorientierung und Blindheit vor. Die Tür öffnet sich, und ich
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