Ausgerechnet Souffle'!
Explosion ist gewaltig. Der Sog reißt mich von den Füßen, im Fallen registriere ich eine Bewegung und einen Schrei. Etwas zerrt an mir und schleift mich über den glitschigen Boden. Zu spät. Ein dumpfer Schlag trifft meinen Kopf.
*
Die Spinnwebe hängt nach wie vor an meinem Deckenstrahler. Mitsamt dem dicken, ekligen Krabbeltier. Ich hätte nie gedacht, dass mich dieser Anblick einmal mit Freude erfüllen könnte. Was für ein Albtraum. Ich liege in meinem Bett. Draußen ist heller Tag. Durch das Fenster der vertraute Blick zur Hausfront gegenüber, wenn auch die Kanten im Licht merkwürdig scharf gezeichnet wirken. Meine Augen brennen. Vorsichtig blicke ich mich um. Alles Normal. Bis auf die fürchterlichen Kopfschmerzen. Beruhigt lasse ich mich in die Kissen zurücksinken und atme dreimal tief ein und aus. Gottseidank. Ich habe nur geträumt. Ich trage ja sogar mein Nachthemd. Komisch, dass ich mich nicht daran erinnern kann, überhaupt eines angezogen zu haben. Zwischen meinem Büroaufenthalt und diesem grässlichen Traum gähnt ein schwarzes Loch. Meine Haare sind feucht. Ich bin frisch geduscht und rieche nicht im Mindesten nach Rauch, sondern nach Mandelblüten. Nur in meinem Bauch hallt ein flaues Ziehen nach. Lediglich das Ticken der Wanduhr und das ferne Geräusch der Straße sind die einzigen vernehmbaren Laute in diesem Zimmer. Zwei Uhr. Zwei Uhr?! Ich muss den Laden aufmachen!
Noch während ich die Türklinke in der Hand, in die Küche stolpere und sich drei betretene Augenpaare auf mich richten, bricht die Erkenntnis aus den Tiefen meines Unterbewusstseins. Nein. Bitte nicht.
Mutti, Britta und Olga springen fast gleichzeitig von ihren Plätzen auf. Britta hat rotgeränderte Augen, als ob sie geweint hätte. Olga wischt sich ein paar Krümmel vom Kinn und schluckt schuldbewusst den letzten Bissen herunter, als sei es ein Kapitalverbrechen, Schokoladenkekse zu essen. Mutti steht reglos da und lässt die Schultern hängen. Ihr stummer Körper, in dem sich kein Muskel regt, macht es zur Gewissheit.
Ich werde heute nirgendwo hingehen.
Der Boden schwankt wie die Holzplanken eines in Seenot geratenen Schiffs. Ich sinke nieder, am Rande registrierend, dass sich ein Stuhl unter meinen Hintern schiebt. Der vertraute Duft von Olgas Kaffee treibt mir die Tränen in die Augen. Alles in Ordnung, Katta, fragen sie besorgt und streicheln unbeholfen meine Hände, meinen Rücken, tätscheln mitfühlend mein Knie. Eine merkwürdige Empfindungslosigkeit legt sich über meine Sinne. Die Stimmen werden immer leiser, bis sie allmählich verstummen. Von irgendwoher vernehme ich eine Art Flüstern. Mit zwölf war ich zum ersten Mal an der Nordsee. Die Muschel, die ich an mein Ohr presste, klang wie das Meer. Ich konnte gar nicht genug bekommen von dem Raunen und Wispern. Mit dem gleichen Rauschen gleite ich in ein Vakuum aus gähnender Leere. Nichts ist in Ordnung. Gar nichts.
27. Ein Quantum Toast
Mit sechzehn fuhren wir mit Fahrrädern überall hin. Zu dritt besaßen wir zwei Räder. Eine fuhr auf dem Lenker mit. Das stellte eine reichlich wacklige Angelegenheit dar. Es ängstigte mich immer, eines Tages runter zu fallen und mir sämtliche Knochen zu brechen. Aber es ging jedes Mal gut.
Die Dritte starb. Viel später und einfach so. Sie fiel nicht vom Fahrradlenker. Eine Gehirnblutung war schuld daran. Ihr Sterben dauerte eine Woche. Dann schalteten sie die Maschine ab. Die Zeit darauf zerrann in einer Art Dämmerzustand. Sie brachten einen weißen Sarg in die Kirche und spielten ihr Lieblingslied. Ein Handy klingelte mitten in der Zeremonie und die Zweite gluckste:
„Sie ruft an.“
In unserer Stammkneipe bestellten wir drei Sekt und hielten einen Platz für sie frei. Als der Laden voller wurde, nahm jemand sich den Stuhl. Sie kicherte.
„Guck mal, er trägt sie weg.“
Die Zweite hätte sich zu gerne totgelacht. Stattdessen vergaß sie ein Jahr lang das Leben. Ich fragte sie irgendwann und sehr viel später danach. Sie sagte:
„Mir hat nichts mehr Freude gemacht. Ich konnte nicht aufhören, an sie zu denken.“
Und ich machte damals klaglos weiter. Köln verlangte mir zu viel ab, als dass ich hätte lange trauern können. Die Stadt und ihr Rhythmus haben mich einverleibt und emotional geläutert wieder ausgespuckt. Das rettete mir das Leben.
Heute bin ich sie. Ich sitze in dieser Wohnung und draußen scheint die Sonne. In mir herrscht Nacht. Schon seit Wochen. Glaube ich. Können
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