Ausgerechnet Souffle'!
Freude und Wut sind nur Bruchteile des fulminanten Gefühlsschlamassels, in den ich da offenbar hineingeschlittert bin. Froh bin ich hauptsächlich um meinetwillen. Es erfüllt mich mit unsäglicher Erleichterung, dass meine Menschenkenntnis nicht annähernd so mies ist, wie ich befürchtete. Des Rätsels Lösung um Franks Persönlichkeitsspaltung hat nichts mit meiner Fehleinschätzung zu tun, sondern fußt schlicht und ergreifend darin, dass es sich die ganze Zeit tatsächlich um zwei verschiedene Menschen handelte. Der böse Frank ist folglich der Bruder des Nachbarn. Darin erschöpft sich die Gemeinsamkeit bereits, hoffe ich. Denn Felix Sander hat eindeutig mehr mit mir gemein, als mit seinem Fleisch und Blut. Nur dass er, statt eines Fernglases, eine Kamera besitzt. Der Gedanke löst ein eigenartiges Kribbeln in meinem Bauch aus. In erster Linie bin ich natürlich stocksauer. Vor allem, weil ich mich ertappt fühle. Das würde ich selbstverständlich nie zugeben. Mal unter uns: Wer bekommt schon gerne seine Verfehlungen am eigenen Leib zu spüren? Auf Felix Sander wütend zu sein, gelingt mir dagegen viel besser. Meine verkorkste Persönlichkeit nehme ich mir später vor.
Auf der Suche nach plausiblen Gründen, wieso Felix meinen Zorn verdient, übersehe ich die Fahrradfahrerin, als ich rechts abbiege. Sie schleudert mir einen bösen Blick entgegen und wäre bei ihrem Ausweichmanöver beinahe gefallen. Schlenkernd entfernt sich das Rad. Trotzig hupe ich ihr hinterher und gebe ihr die Schuld daran, dass ich sie fast überfahren hätte. Wer fährt schon Fahrrad. Am besten gehe ich zu Fuß zum Kochbuchladen weiter. Meine gefahrenträchtige Umwelt passt reichlich wenig zu meiner Verfassung, oder umgekehrt. Kurz entschlossen lenke ich den Wagen in eine freie Parkbucht. Als der Motor erstirbt, lehne ich mich zurück und versuche es mit gezielten Gesichtsmuskulaturübungen. Resigniert lasse ich es nach einigen Minuten sein. Ich komme nicht umhin. Dieses dämliche Glücksgrinsen werde ich einfach nicht los.
Der Blick, den sich Louise und Linda zuwerfen, als ich trällernd das Cook & Chill betrete, und mit Majorsstimme „Tag zusammen!“ (zugegebenermaßen einen Tick zu laut) rufe, spricht Bände. Die Damen sitzen wie ein buntes Krähenpaar an ihrem Stammtisch (ich denke ernsthaft darüber nach, auf der Tischplatte zwei goldene Namensschildchen anzubringen). Linda strickt und Louise schreibt in ihr Notizbuch. Vor ihnen türmen sich Kuchenteller und mehrere leere Macchiatogläser. Ich bremse mitten im Schritt und betrachte die beiden genauer. Wahrhaftig, Linda knüpft so etwas wie ein winziges Wolljäckchen. In Rosa.
„Sagen Sie mal, was machen Sie damit, wenn´s ein Junge wird?“
Meine verfluchte Zunge ist einfach nicht zu kontrollieren. Linda sieht nicht mal auf.
„Wird es nicht“, lächelt sie selig und zieht mit der einen Nadel geschickt eine Schlaufe für das Zopfmuster.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass sich Louise noch eifriger über ihr Blatt beugt. Der Stift wirbelt regelrecht über das Papier. Da ich es sowieso schon zu weit getrieben habe und es deshalb ohnehin egal ist, frage ich gleich weiter.
„Haben Sie eigentlich ihrem Mann bereits die frohe Botschaft mitgeteilt?“
Lauernd warte ich auf ihre Reaktion. Sie zuckt zusammen, was mir Antwort genug ist.
„Es geht mich überhaupt nichts an“, flüstere ich in ihr Ohr, „doch Johannes steckte mir erst gestern im Kurs, wie wahnsinnig gerne er alles richtig machen würde“, lüge ich schamlos und hole dann zum Schachmatt aus, „weil er Sie so unsäglich liebt.“
Ich schaue mich geheimnisvoll um und beuge mich noch näher zu ihr:
„Aber das darf ich ja gar nicht weitersagen - schon gar nicht Ihnen. Sie verstehen, was ich meine?“
Nun warm gelaufen, treibe ich meine Unverfrorenheiten bei Louise auf die Spitze:
„Louise, was schreiben Sie denn da?“
Diesmal trifft mich sehr wohl ein Blick. Ein ausgesprochen brüskierter allerdings.
„Katharina, auch das geht Sie rein gar nichts an“, kontert sie unfreundlich und bedeckt rasch mit einer Hand das dicht beschriebene Papier. Ich wackle mahnend mit dem Zeigefinger. Mich reitet wortwörtlich der Teufel.
„Tz tz tz ... Sie verfassen doch nicht etwa Liebesbriefe und vorenthalten uns den Genuss einer erotischen Lesung?“
Louise von Stetten schnappt nach Luft und ich sehe vergnügt, dass eine Ader an ihrem faltigen Hals pocht. Erst jetzt entwischt mir ein kleines Lächeln. Ich klopfe
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