Ausgesaugt
dann gibt er auch noch den Löffel ab. Und dabei müsste ich mir dringend mal die Haare schneiden lassen.
Ich schaue woandershin.
Er macht ein leises Geräusch.
Ich sehe ihn immer noch nicht an.
Er nimmt die Hand aus seinem Nacken.
– Motherfucker.
Ich steige ein und lasse den Motor an.
– Danke für’s Auto.
Er legt eine Hand auf die geöffnete Fahrertür.
– Als Dankeschön. Für Percy und so.
– Ja. Percy.
Ich umklammere das Lenkrad.
Er schlägt die Tür zu. Ich lege den Gang ein und fahre los. Sehe ihn im Rückspiegel auf der Straße stehen.
Ein König, der in seinem eigenen Reich im Exil lebt. Und ein grausamer König noch dazu.
Im Herzen der Welt lebt ein Wurm, der sich selbst auffrisst.
Wusstet ihr das?
Wirklich, das ist die Wahrheit.
Mit jedem Bissen verletzt er sich selbst. Tötet sich auf langsame Weise. Verdaut ein weiteres Maulvoll seiner eigenen Eingeweide. Seine Schreie werden von seinem Körper gedämpft. Aber da er im Herzen der Welt lebt, hören ihn die Leute trotzdem. Und sie werden wahnsinnig von dem Geräusch, wie sich das verdammte Vieh selbst auffrisst. Sie wollen, dass der Wurm Schluss macht, damit sie ihn nicht mehr hören müssen. Doch das zu töten, was im Herzen der Welt ist, bedeutet die Welt selbst zu töten.
Und ihr wisst genau, von welchen Leuten ich rede.
Je weiter ich auf dem Harlem River Drive nach Süden fahre, desto stärker wird der Verkehr. Der Impala grummelt vor sich hin, offenbar ist er mit der Geschwindigkeit nicht einverstanden. Ich schalte das Radio ein und höre mich durch die Sender. Ein Jahr im Untergrund, da verpasst man so einiges. Kunst und Kultur, Wissenschaft und Technik, Politik und Finanzen. Bei der Musik stellt es mir zum größten Teil die Nackenhaare auf. Aber das war ja schon immer so. Bei den Nachrichten dagegen stellen sich eher Mordgelüste ein.
Während ich Nachrichten höre, denke ich in Verben. Zerfleischen. Zerfetzen. Massakrieren.
Aus den Nachrichten höre ich den Wurm heraus, der sich selbst frisst. Er hat sich an einem Bissen verschluckt, würgt ihn hoch und frisst ihn erneut. Ich frage mich, wo dieser Teufelskreis seinen Anfang nimmt. Kommt die angespannte Atmosphäre auf den Straßen daher, dass Leute wie ich gleich um die Ecke ihr Unwesen treiben – ist es die Gefahr, die von blutsaugenden Raubtieren auf dem Kriegspfad ausgeht? Oder rührt die Spannung daher, dass Blutsauger von einer ganz und gar anderen Sorte wie ich, weit weg und über allem erhaben, ebenfalls auf Krieg aus sind?
Auf einem Sender finde ich The Jam mit »That’s Entertainment«. Ich drehe die Lautstärke auf, und die Subwoofer im Kofferraum des Impala jagen mir den Bass ins Rückgrat.
Scheiß auf den Wurm. Ich habe eine Pistole und ein Messer und ein Stück geflochtenen Draht, mit dem man Knochen durchsägen kann. Es kommt nur drauf an, den Wurm zwischen die Zähne zu kriegen und ihn zu fressen, bevor er sich selbst fressen kann. Genau wie den Wurm am Boden einer Flasche Mezcal.
Mezcal.
Ich brauche eine Bar.
Ich bin kein komplizierter Mensch.
Ein Drink, eine Zigarette, niemand, der mir auf die Eier geht und mindestens ein halber Liter Blut pro Woche – und schon bin ich zufrieden. Obwohl, mit nur einem halben Liter werde ich spätestens Donnerstagabend ziemlich biestig. Jetzt brauche ich erst mal einen Drink. Einen ganz normalen Drink. Schnaps. Letztes Jahr hab ich nicht allzu viel davon gesehen. Es gab da ein paar Leute, die mir für ein paar Kröten was zum Trinken von der Oberfläche mitgebracht haben. Leider konnte man sich nicht drauf verlassen, dass in der Flasche, die diese Spiritussäufer mitgebracht hatten, noch was drin war. Wenn ich mal anfange, drüber nachzudenken, wie gut mir jetzt ein Drink schmecken würde, krieg ich den Gedanken einfach nicht mehr aus dem Kopf.
Ich brauche einen Drink. Und ein ruhiges Plätzchen, wo ich ihn ungestört genießen kann.
Etwa auf der Höhe von Gracie Mansion wird der Harlem River Drive zum Franklin D. Roosevelt Drive. Aber das ist ja nichts Neues. An der 73rd nehme ich die Ausfahrt, fahre nach Westen bis zur First Avenue und wieder zurück nach Uptown. Ich war zwar erst ein paarmal in meinem Leben auf der Upper East Side, aber schließlich ist sie ein Teil von Manhattan. Somit muss es dort auch Bars geben. Ein Pub wäre mir jetzt am liebsten. Wenn man irgendwo hinkommt, wo man sich nicht auskennt, ist ein Pub immer eine sichere Wahl. Okay, höchstwahrscheinlich wird einem der Drink in
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