Ausgesaugt

abgeht, würde er die Aktion sofort abblasen. Er müsste einfach nur das Embargo aufrechterhalten und abwarten.
    Doch er hat seine Befehle. Und mächtig Druck von oben.
    Man darf nicht vergessen, was Hurley über die Berichterstattung in den Medien gesagt hat. Solche Sachen haben der Koalition schon immer größere Kopfschmerzen bereitet als den Jungs aus Downtown. Serienkiller in den Schlagzeilen, allgemeines Unbehagen, Angst auf den Straßen. Das gefällt Predo überhaupt nicht. Und wenn ihm das nicht gefällt, gefällt es seinen Bossen im Koalitionssekretariat noch weniger.
    Die sind von der ganz alten Schule und sitzen wahrscheinlich mit Zylinder und Abendmänteln im obersten Stock des Koalitionshauptquartiers, einem noblen Upper-East-Side-Prachtbau gleich neben dem Guggenheim. Was sie dort beschließen, hat Auswirkungen auf die ganze Insel.
    Früher hab ich mir immer ausgemalt, wie sie dort oben dicke Zigarren rauchen und Portwein trinken. Wie in einer politischen Karikatur aus dem neunzehnten Jahrhundert. Rote Nasen, runde Bäuche, die Füße auf dem Rücken der Unterklasse ausgestreckt. Was okay ist, solange man mit am Tisch sitzt. Nicht ganz mein Stil, aber ich kann schon nachvollziehen, warum man da hinwill. Dann hat man nämlich niemanden mehr über sich, der einen anscheißen kann, wenn’s ihn gerade drückt.
    Inzwischen stell ich sie mir anders vor.
    Dünne, sehnige Gestalten, die ihre Finger in Schüsseln mit etwas tauchen, das wie Stränge violetter Lakritze aussieht; sie fischen die Stränge raus, halten sie sich an die Lippen und saugen sie aus.
    Blut aus geernteten Nabelschnüren.
    Und daneben stehen Kinder, die in einem Loch aufgewachsen sind und jetzt Ketten um den Hals tragen.
    Das ist keine Karikatur, das ist die Wirklichkeit. Ich bin der festen Überzeugung, dass es dort oben so oder so ähnlich abläuft.
    Leute mit diesem Lebensstil haben naturgemäß ein starkes Interesse daran, Schlagzeilen, wie Hurley sie erwähnte, nach Möglichkeit zu vermeiden. Deshalb machen sie Predo Druck, und der will die Situation so schnell wie möglich unter Kontrolle bringen. Das Risiko minimieren, dass etwas nach draußen dringt. Und er beginnt mit dem Problem, das er direkt vor der Nase hat. Amanda.
    Keinen Wind machen. Eine verdeckte Operation. So wird er vorgehen. Die falschen Cops werden nicht die Vorhut bilden, sondern sind die Reserve für den Notfall. Wenn es nach Predo geht, wird die ganze Aktion mehr oder weniger unsichtbar ablaufen. Erst die Sturmtruppen, und zwar mitten in der Nacht, wahrscheinlich zwischen drei und vier Uhr. Genug Zeit für uns, um rechtzeitig einzutreffen, uns Zugang zu verschaffen, einen Deal mit Amanda und Sela auszuhandeln und uns auf Predos Armee vorzubereiten.
    Und sobald die große Schießerei losgeht, werd ich mir das Mädchen samt Baby und eventuell auch ihren Freund schnappen und abhauen.
    Wem steht hier das Wasser bis zum Hals?
    Mir bestimmt nicht.
    Ich hab nämlich einen Plan.
     
    – Du hast gesagt, du wüsstest, wo’s langgeht.
    – Weiß ich auch.
    – Es ist jetzt schon fast drei Uhr morgens.
    – Jetzt sei mal ruhig, ich versuche hier was zu riechen.
    – Oh, tut mir leid. Stört meine Stimme deinen Geruchssinn? Dringt sie in deine Nase und lenkt dich ab?
    – Lydia.
    – Joe.
    – Wenn du mir eine Knarre gegeben hättest, würde ich jetzt nochmal auf dich schießen.
    Sie wendet sich Terry zu.
    – Er hat sich verirrt. Er klopft dumme Sprüche, weil er sich verirrt hat. Das macht er immer, wenn er Scheiße gebaut hat.
    Terry watet näher.
    – Joe?
    Ich hebe die Hand.
    – Haltet mal für einen Augenblick die Schnauze und lasst mich in Frieden.
    Dann packt ein Krampf meine Eingeweide und ich klappe zusammen.
    Terry drückt den Handballen gegen die Stirn.
    – Wie lange hattest du kein Blut mehr?
    Ich richte mich langsam wieder auf.
    – In Anbetracht der Prügel, die ich eingesteckt habe, viel zu lange. Deshalb geht’s mir momentan auch nicht so blendend. Also rückt nicht so dicht auf und haltet die Klappe.
    Er dreht sich zu Lydia um.
    Sie sieht mich an und deutet auf mich.
    – Die Zeit ist fast um.
    Sie stapft durch das Wasser zu ihren Leuten zurück.
    Terry zupft an seiner Mütze.
    – Das stimmt. In dreißig Minuten wird das Verhältnis zwischen Risiko und Nutzen dramatisch kippen. Dann müssen wir umkehren und eine, keine Ahnung, Vereinbarung aushandeln. Ich und Lydia, meine ich. Du dagegen...
    Er starrt ins Wasser.
    – Um ehrlich zu sein, Joe, du wirst