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Ausgesetzt

Ausgesetzt

Titel: Ausgesetzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James W. Nichol
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offensichtlich wieder durch das offene Fenster getürmt war, schien nichts zu fehlen. Das Kassettendeck stand noch in voller Lebensgröße auf dem Fensterbrett.
    Walker starrte es an. Warum haben die nicht mein Kassettendeck mitgehen lassen?, fragte er sich.
    Er ging durchs Zimmer und zog die untere Schublade der Kommode auf. Seine Lederjacke war noch genau da, wo er sie hingelegt hatte, nur ein wenig zur Seite geschoben.
    Plötzlich fühlte Walker sich, als hätte ihn die schlimmste Grippe der Welt erwischt. Er tastete unter seine Jacke, dann zog er sie aus der Lade. Er zog seine beiden Pullover heraus und sein zweites Paar Jeans.
    Die leere Schublade starrte ihm entgegen.

[home]
    6
    1972
    A n seinem ersten Tag an der Southam Militarakademie in Tennessee übergab sich Bobby auf der Toilette, die er sich mit neun anderen Jungen teilte. Am zweiten Tag fühlte er gar nichts. Er hatte sich an einen besonderen Ort in seinem Inneren zurückgezogen. Sich zurückziehen, das konnte er gut.
    Sein Vater war auf die Idee gekommen, ihn nach Southam zu schicken. Das sollte ihn abhärten, ihm Selbstvertrauen geben, ihn zu der Führungspersönlichkeit machen, die eines Tages das Geschäft übernehmen konnte. Den BETRIEB .
    Er hatte hinter Bobby gestanden und fest dessen Schultern gedrückt, an dem Tag, da er seiner Frau verkündete, er habe Bobby bereits in Southam angemeldet, und dieser habe Montag in einer Woche auf dem Paradeplatz zum Zählappell anzutreten.
    Bobby war jetzt dreizehn. Manchmal war er sehr gut, ja hervorragend, in der Schule, dann nämlich, wenn er das Gefühl hatte, ein Lehrer habe ihn missachtet und müsse daran erinnert werden, wer der Allerbeste in der Klasse war. Doch sobald der Lehrer den Fehler beging, ihn zu loben, ließ Bobby wieder nach und träumte vor sich hin. Hätte man an den Schulen, die er besuchte, an das Sitzenbleiben geglaubt, wäre er sitzengeblieben. Da man das aber nicht tat (so etwas würde ein schwaches Ego nur weiter schwächen), blieb er nicht sitzen.
    Im Laufe der Jahre hatte ihn seine Mutter mal für zusätzlichen Hochbegabtenunterricht angemeldet und mal für Förderunterricht. Sie hatte ihn von verschiedenen Experten untersuchen lassen, die zwar übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen waren, dass ihr Sohn einen IQ im oberen Normalbereich besaß, ansonsten jedoch völlig unterschiedliche Eindrücke von ihm gewonnen hatten. Die einen glaubten, er habe dieses oder jenes neurologische Problem, andere sprachen von emotionalen Problemen und Verhaltensauffälligkeiten, wieder andere von einer Kombination aus den vorgenannten. Man empfahl verschiedenste Medikamente. Man empfahl Verhaltenstherapie. Man empfahl einen Schulwechsel oder bestimmte Arten von Unterricht.
    Bobby stand gern im Mittelpunkt von soviel Aufmerksamkeit, saß gern mit seiner Mutter in fremden Sprechzimmern und lauschte, wie ernst dreinblickende Männer und Frauen dahinplapperten. Manchmal machte er bei den Tests seine Sache gut, um sie zu verblüffen, manchmal beschloss er, alles falsch zu machen, um sie zu enttäuschen. Er sah sie an und hörte, was sie sagten, aber seine Miene blieb undurchdringlich. Niemand konnte hineinsehen. Niemand konnte erraten, was er dachte.
    Bobbys Mutter ging mit ihm in Museen, ins Theater, in Konzerte. Sie nahm ihn in den Arm, strich ihm übers Haar, küsste ihn aufs Ohr. Sie nannte ihn ihr Wunderkind. Sie machte sich ständig Sorgen um ihn.
    Die Entscheidung, Bobby wegzuschicken, wurde ohne ihr Wissen getroffen. Ihr Mann hatte sich selbst darum gekümmert, weil er der Ansicht war, dass alles, was seinem Sohn fehlte, die Disziplin einer Militärschule war. Obwohl Bobby nie durchgefallen war, stand fest, dass er sich nicht so gut machte, wie er sollte, und außerdem hatte er etwas Abartiges, offen gestanden, Abstoßendes an sich. Wo war der Esprit, wo der Charme, wo das Selbstvertrauen, wo die Anzeichen für Schwung und Energie, nach denen sein Vater so sehnsüchtig Ausschau hielt?
    Er trug seiner Sekretärin auf, Broschüren und Jahrbücher anzufordern. Er hatte mit Familien gesprochen, die ihre Söhne auf ähnliche Schulen in den Staaten geschickt hatten. Er hatte mit den Verantwortlichen in den Schulen selbst gesprochen, und er hatte Southam ausgewählt. Es war die älteste, teuerste und traditionsreichste Schule. Diese Tradition blickte bereits auf den Bürgerkrieg zurück und hatte Hunderte von jungen Männern hervorgebracht, die, wenn man dem Jahrbuch trauen konnte, später Karriere

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