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Ausgesetzt

Ausgesetzt

Titel: Ausgesetzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James W. Nichol
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Rückspiegel. Ein paar Mädchen in der Uniform von St. Bridget gingen auf dem Gehsteig davon. Eine Frau, die einen Kinderwagen schob und einen Wolfshund mit seidigem Fell spazieren führte, kam auf den Wagen zu.
    Die Häuser rund um die Schule waren alle zweistöckig, aus roten oder braunen Ziegeln, mit geschwungenen Veranden, verglasten Balkons im ersten Stock und umstanden von dichten Büschen und Bäumen. Alle Häuser in dieser Straße, ja in dem ganzen Viertel, waren groß.
    Reich, dachte Walker. Arm war man bestimmt nicht, wenn man in Forest Hill wohnte. Und seine Kinder auf diese Schule schickte.
     
    »Stammbaum hin, Stammbaum her, Miss Miller, es kommt gar nicht in Frage«, sagte eine Frau mittleren Alters zu Krista. Ihr graues Haar war zu einem Knoten zusammengefasst, keinerlei Make-up verunzierte ihr selbstzufriedenes Gesicht. Sie trug ein braunes Kostüm und praktische Schuhe, und in ihrem Haar steckte ein Bleistift wie ein Pfeil, der soeben auf sie abgeschossen worden war.
     
    Wunder wär’s keins, dachte Krista.
    In einem mahagonigetäfelten Raum stand Krista vor dem Schreibtisch der Archivarin. Zwei andere Frauen – die eine musste mindestens so alt sein wie das Schulgebäude, die andere war jünger, mollig und modischer gekleidet – saßen an zwei weiteren Schreibtischen. Alle drei hatten den Kopf gehoben, als Krista hereinkam, und alle drei starrten sie immer noch an.
    »Das ist aber eine große Enttäuschung«, sagte Krista.
    »Hier geht es um vertrauliche Informationen. Das verstehen Sie doch. Ohne vorherige Genehmigung können wir unmöglich Auskünfte über unsere Mädchen oder deren Familien erteilen.«
    »Ob wir wollen oder nicht«, stimmte die Hutzelige ein.
    »Aber es ist doch nur für einen Stammbaum. Ich brauche bloß eine Adresse, dann kann ich ihnen selbst schreiben.«
    »Haben Sie einen berühmten Vorfahren?«, wollte die mit dem Bleistift im Haar wissen.
    »Eigentlich nicht«, antwortete Krista.
    »Also wozu dann der Aufwand?«, mischte sich die Alte ein.
    Krista sah ein, dass sie so nicht weiterkommen würde. »Ich habe Ihre Bibliothek auf der anderen Seite des Flurs gesehen. Könnte ich mich da vielleicht ein paar Minuten umsehen? Haben Sie Jahrbücher?«
    »Das ist bestimmt kein Problem«, meinte die Mollige. Dann wurde sie sich ihrer Dreistigkeit bewusst und erblasste. »Oder?«
    Die Hutzelige zuckte mit keiner Wimper.
    »Dann gehen Sie doch mit ihr, Mary!«, sagte die Selbstzufriedene mit dem Bleistift und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. »Sie haben ja nicht gar soviel zu tun.«
    Mit gekränkter Miene erhob sich Mary und ging steifen Schrittes über den spiegelnden Holzboden des Flurs in die Bibliothek. Krista folgte ihr.
    Der Raum war eng. Eine Reihe von bunten Bogenfenstern erglühte in leuchtendem Blau und Gelb, und an allen vier Wänden standen Holzregale vollgestopft mit alt aussehenden Büchern. Zwei schwere Eichentische und verschiedene Stühle waren strategisch im Raum verteilt. In einer Ecke gab es einen Marmorkamin mit einem verzerrenden Spiegel darüber, der den Raum in einer Weise reflektierte, dass er einem beinahe wie eine Halluzination erschien.
    Krista sah hoch und betrachtete ihr Spiegelbild. Sie konnte sich nur schwer vorstellen, was ein junges Mädchen dazu veranlassen konnte, diesen Raum aufzusuchen.
    Als ob sie ihre Gedanken gelesen hätte, sagte die Frau: »Eigentlich ist das die alte Bibliothek. Wir haben eine schöne neue, mit Videos und Computern und Mikrofiche, im neuen Flügel. Das hier ist mehr ein historischer Raum, mit den ganzen alten Fachbüchern über Naturwissenschaften und Geschichte und Geographie. Was da drin steht, ist wirklich zum Totlachen. Und natürlich kriegen wir auch von den Familien immer wieder einmal alte Bücher, die wir nicht wegschmeißen möchten. Und die Jahrbücher bewahren wir auch hier auf.« Sie zeigte auf ein niedriges Regal hinten im Zimmer. »Da drüben finden Sie die komplette Sammlung. Die alten sind schon eine Rarität. Die leihen wir natürlich nicht aus.«
    »Natürlich nicht«, bestätigte Krista und schwang sich dort hinüber.
    »Lassen Sie sich soviel Zeit, wie Sie wollen, und wenn Sie etwas brauchen, wissen Sie ja, wo Sie mich finden.«
     
    Walker hatte gerade seine zweite Zigarette fertiggedreht, als er sah, wie sich Krista durch die gewaltige Eingangstür zwängte, die Stufen hinunterquälte und über die Steinplatten auf ihn zukam. Er stieg aus, öffnete die Beifahrertür, nahm ihr die Krücken ab

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