Ausgespielt
Farbbändern in die Länge zu ziehen, die schwungvolle Kringel an die Wände zeichneten.
»Oh, Marty. Das ist ja traumhaft. Beck hat zwar schon gesagt, dass es spektakulär geworden ist, aber das ist wirklich gigantisch. Dürfen wir uns umsehen?«
»Aber macht nicht zu lang. Ich will nach Hause.«
»Ich verspreche, dass wir uns beeilen. Sieh’s doch mal so: Wenn dieser Abstecher ins Gefängnis nicht gewesen wäre, würde ich selbst hier arbeiten. Gibt es auch einen Dachgarten?«
»Die Treppe ist da hinten. Du kannst sie nicht verfehlen. Ich bin dann in meinem Büro den Flur hier entlang.«
»Man könnte sich hier glatt verlaufen«, sagte Reba.
»Das lass lieber. Beck wird ohnehin nicht begeistert sein, wenn er hört, dass du hier warst.«
»Ich schweige wie ein Grab«, versprach sie und ließ ihn ihre Grübchen sehen.
Reba drehte eine Runde um den Empfangsbereich, und ich folgte ihr. Solange Marty anwesend war, wirkte sie in ihrer unverhohlenen Begeisterung fast kindlich. Immer wieder steckte sie den Kopf in ein Büro und machte ooh und aah. Marty sah uns kurz zu, ehe er in entgegengesetzter Richtung davonging.
Sobald er außer Sichtweite war, ließ Reba jegliche
vorgetäuschte Besichtigungsmanier fallen und machte sich ans Werk. Ich blieb an ihrer Seite, während sie die Namen studierte, die vor jedem Büro an der Wand angebracht waren. An Onnis Zimmer angelangt, warf sie einen Blick den Flur entlang, um sich zu vergewissern, dass Marty nicht in der Nähe war. Sie trat 245
an Onnis Schreibtisch, holte ein Papiertaschentuch aus einer Schachtel und zog mit dessen Hilfe eine Schublade nach der anderen auf.
»Halten Sie Wache, okay?«
Ich spähte in den Flur hinter mir. Durchsuchungen sind meine absolute Lieblingsbeschäftigung (abgesehen von den Stunden mit Cheney Phillips in jüngster Zeit). Der aufregende Nervenkitzel, in die Privatsphäre anderer Leute einzudringen, wird noch durch die Gefahr intensiviert, womöglich auf frischer Tat ertappt zu werden. Ich wusste nicht genau, wonach sie suchte, sonst hätte ich gerne mitgemacht. Allerdings musste ja ohnehin jemand Schmiere stehen.
Reba machte nach wie vor Schubladen auf und zu.
»Unglaublich, dass Marty dermaßen paranoid ist. Muss seine Medikamente abgesetzt haben. Ah.« Sie hielt einen dicken Schlüsselbund in die Höhe und schwenkte ihn klirrend hin und her.
»Den können Sie nicht mitnehmen.«
»Och. Onni kommt erst am Montag wieder. Bis dahin kann ich ihn zurückbringen.«
»Reba, nicht. Sie vermasseln alles.«
»Nein, tu ich nicht. Das hier ist wissenschaftliche Forschung.
Ich überprüfe meine Hypothese.«
»Was für eine Hypothese?«
»Erzähl ich Ihnen später. Nur keine Sorge.«
Sie verließ Onnis Büro und fuhr auf dem Rückweg zum
Empfangsbereich mit der Hand die Wand entlang, indem sie die Linien der Decke nachzeichnete. Als sie an den Aufzügen anlangte, drehte sie eine Runde durch den zentralen Raum und maß ihre Umgebung mit Blicken ab. Große abstrakte Gemälde beherrschten die Wände, und die Beleuchtung war so gestaltet, dass man mit unwiderstehlicher Kraft von einem Bild zum 246
anderen gezogen wurde.
»Ich fände es hilfreich, wenn ich wüsste, wonach Sie suchen«, bemerkte ich.
»Ich weiß, wie er denkt. Irgendwo hier gibt es etwas, das wir nicht finden sollen. Versuchen wir’s mal in seinem Büro.«
Ich wollte protestieren, doch sie hörte sowieso nicht hin.
Becks Büro mit seiner Ecklage war vom Feinsten – es war geräumig, mit hellem Kirschbaumholz getäfelt und mit dem gleichen grünen Teppichboden ausgelegt, der auch im
Empfangsbereich die Schritte dämpfte. Das Mobiliar bestand aus niedrigen Sesseln aus Chrom und Leder, aus denen man nur mithilfe eines Flaschenzugs wieder hochkommt, wenn man leichtsinnig genug gewesen ist, sich hineinzusetzen. Becks Schreibtisch war eine schwarze Schieferplatte – eine merkwürdige Wahl, es sei denn, er schrieb seine Divisionsaufgaben am liebsten mit Kreide quer über den ganzen Tisch. Reba hatte das Kleenex mitgebracht, um auch an Becks Schubladen keinerlei Fingerabdrücke zu hinterlassen. Ich blieb beklommen in der Tür stehen.
Unzufrieden wirbelte sie herum. Sie studierte den Raum in allen Einzelheiten, ehe sie schließlich an die getäfelte Wand trat, daran entlangklopfte und auf Anzeichen für Hohlräume dahinter lauschte. Irgendwann berührte sie ein Schnappschloss, und eine Tür sprang auf. Doch der einzige Schatz, der sich dahinter verbarg, war Becks
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