Ausgetanzt
die Berge durchs Fenster, die sich
heute Morgen eine dicke weiße Haube aufgesetzt und einen Nebelschal um den Hals
geschlungen hatten. Trisselwand und Loser waren fast nicht zu erkennen.
Es half nichts, sie musste aufstehen. Das Tagwerk wartete wie
immer. Sie fütterte die Katzen und beschloss dann, im Salon zu frühstücken. Mit
mehr Schwung, als sie eigentlich in sich fühlte, warf sie die alte grün-weiße
Haustür ins Schloss. Unvermutet kam ihr die Vermieterin nach.
»Guten Morgen, Frau Roither«, Frau Gasperl lächelte sie an.
»Guten Morgen.« Berenike wollte rasch an der anderen vorbei.
»Wenn ich Sie bitten dürft, nicht so stürmisch mit der Tür …«
»Ja ja, ich hab’s eilig.« Berenike ließ die Hausfrau verdutzt
stehen. Auch wenn es ein bisschen klarer war heute, zum Schwimmen reichte es
noch nicht. Doch das Wetter hier im Salzkammergut war wechselhaft und somit war
alles jederzeit möglich, auch Sonnenschein.
Im Salon trank Berenike eine Tasse kenianischen Schwarztee.
Sie besprach mit Hans, was an Aufgaben anstand und entschied, als Erstes in
Ruhe mit Katharina zu reden. Sie wollte den Ort noch einmal sehen und ihn auf
sich wirken lassen, an dem man Caros Leiche gefunden hatte. Und schließlich
kannte die Friseurin Berenike, mit etwas Glück würde sie noch irgendwas
erfahren. Sie bereitete ein Päckchen Managertee als Mitbringsel für Katharina vor.
Die Mischung aus griechischem Bergtee, Melisse, Kamille und Ringelblume würde
auch ihren Magen beruhigen. Am besten, sie nahm sich selbst etwas von dem Tee …
Die Wut hielt sie seit dem Gespräch mit Jonas gepackt. Abwesend zupfte Berenike
an der roten Schleife, mit der sie das hellgrüne Teepäckchen zugebunden hatte.
Sie würde sich nicht wie eins der schwarzen Ausseer Schafe zur Schlachtbank
führen lassen! Der Kripomann hatte ihr nichts zu sagen, basta.
Und dazu dieser Traum, der ihr wieder vor Augen stand. Alle
Zähne auf der rechten Seite waren ihr ausgefallen. Das Gefühl, wie sie die
losen Zahnstümpfe ertastet hatte, spürte sie immer noch an ihrer Zunge. Ihr
Unterbewusstsein war also der Meinung, dass bald jemand sterben würde … Noch
jemand!
Rasch machte sie sich auf den Weg, um auf andere
Gedanken zu kommen. Zum Glück konnte sie sich auf Hans verlassen, was den Salon
betraf, und auch auf Susi.
An der Ortseinfahrt von Hallstatt verlangsamte Berenike.
Dunkle Wolken ballten sich über dem See, die Luft wirkte seltsam schwül, fast
tropisch in dem warmen Wind. Beklemmung legte sich ihr auf die Brust. Ihr
graute vor dem Gespräch mit Katharina, hatte sie doch beschlossen, sich dem
Schönen zu widmen. Der Wahrheit hatte sie sich aber auch verschrieben, der Gerechtigkeit,
für die sie immer schon kämpfte. Also los. Zumindest gab es jetzt Straßen und
alle Zeichen der Zivilisation hier. Nicht wie früher, als man den Ort nur über
den See oder einen Saumpfad erreichen konnte. Die Straße von Gosaumühle her war
erst 1890 in das Bergmassiv gesprengt worden.
Berenike parkte ihr Motorrad und ging zu Fuß weiter, durch
verwinkelte Gässchen, an der sogenannten Kelten-Post und am archäologischen
Museum vorbei. Neuerlich zögernd stand Berenike vor Katharinas Friseursalon am
Marktplatz. Sie vernahm das Plätschern des Brunnens im Hintergrund, wie in
jener Nacht. Es würde sie für immer an die tote Caro in dieser Auslage
erinnern.
Berenike gab sich einen Ruck und ging die drei Stufen zur Tür
hinauf, griff nach der Klinke – und prallte gegen das Glas. Es war abgesperrt!
Damit hatte sie nicht gerechnet. Durchs Fenster sah alles aus wie immer. Doch
halt, an der Tür hing ein kleiner Zettel, in miserabler Handschrift stand
darauf ›Komme gleich‹. Na ja, Katharina arbeitete eben allein. Mit einem
Seufzer trat Berenike auf den Gehsteig.
»Ist schon wieder zu? Meiner Seel, ist das ärgerlich …« Eine
Frau, vielleicht 60 Jahre alt, mit hängenden Mundwinkeln und rosa glitzerndem
Lippenstift, fuhr sich mit einer Hand an die Haare. »Ich wollte schon neulich
herkommen, da war auch schon am Nachmittag zu.« Berenike blickte von den drei
Stufen auf die andere hinab, wie sie im rosa Dirndl dastand und eine
geflochtene Einkaufstasche von einer Hand in die andere wälzte. Sie wirkte
ratlos.
»Ja, wann war denn das?«
»Vorgestern, glaube ich. Wieso wollen Sie das wissen?«
Misstrauischer Augenaufschlag.
»Ich … mache mir Sorgen«, suchte Berenike schnell eine
Ausflucht.
»Aha.« Die Frau musterte Berenike. Unwillkürlich fuhr
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