Ausgetanzt
sein,
die sich in diesem ganzen Wahnsinn halbwegs normal verhielt.
Schluss jetzt mit dem Detektivinnenspiel. Sie wollte sich
lieber auf ihren Kurzurlaub freuen. Berenike lenkte ihre Gedanken zu Horst.
Eine Weile dachte Berenike über ihn nach und ob sie ihn mochte. Was soll’s, nur
nicht so werden wie Selma, so radikal. Wobei, Selma sah gut aus. Neugierde
packte Berenike. Was hinter Selmas Fassade steckte. Hinter der schönen, aber gestressten
Außenansicht dieser Frau.
Und damit fiel Berenike in einen unruhigen Schlaf, während
der andauernde Regen die vorbeifahrende Landschaft vereinheitlichte. Sie hörte
den Hagel noch kurz aufs Zugdach trommeln, dann dämmerte sie weg.
Zehn
Chocolat à la Ché
Als Berenike
am Westbahnhof in Wien aus dem Zug kletterte, hatte sie einen Moment lang das
Gefühl, beobachtet zu werden. Blödsinn, schalt sie sich, das war nur die
Großstadt, an die sie sich gewöhnen musste. Sie ließ sich mit der Menschenmenge
den verstaubten Bahnsteig entlangtreiben. Schon sah sie Horst am Eingang zur
Schalterhalle winken. Gut sah er aus mit seinen dunklen Haaren, heute im
schwarzen T-Shirt zur edlen Jeans. Man sah den Jeans ihren Preis an.
Berenike schob das Gefühl weg, das sie ständig überfiel,
sobald sie Wien besuchte. Die Erinnerung an etwas, das in einem anderen Leben
geschah. Früher war ihr Wien Heimatstadt, Geburtsstadt sogar gewesen. Aber
jetzt, auch wenn sie jetzt auf dem Land manchmal Sehnsucht danach verspürte,
war sie doch die Menschenmenge nicht mehr gewohnt, so eng und dicht war alles,
die Stadt übervölkert. Eben nicht wie das Ausseerland.
Horst kam ihr entgegengeschlendert, lässig und
unverwechselbar. In der Masse gewöhnlicher Menschen stach er hervor wie eine
Orchidee unter Gänseblümchen. Er war braun gebrannt und würde ihr
wahrscheinlich später etwas über Marbella erzählen, Antigua, oder einen der
anderen Orte, an die reiche Leut’ wie er gern reisten.
»Berenike! Schön, dich wiederzusehen!« Küsschen links,
Küsschen rechts, fast nur gehaucht. Flüchtig die Berührung. Und trotzdem – wie
ein Brandmal.
»Komm mit«, sagte er mit seiner gefälligen Stimme, »ich bring
dich in die Wohnung meiner Schwester, beim Südbahnhof. Anderer Bahnhof, ja
leider. Und anschließend gehen wir eine Schoki trinken, was meinst? Ich kenn da
ein neues Lokal.«
Diese Stimme, wie flüssiger Kakao, heiß und anregend.
Speichel sammelte sich wolllüstig in Berenikes Mund, an ihren Lippen. »Gern.«
In Wien wirkte die Luft ebenfalls feucht, aber
wärmer. Schwül fast. Die Kleidung, ausgerichtet auf Ausseer Temperaturen von
nur knapp über 10 Grad Celsius, klebte Berenike auf der Haut, ihre Füße fühlten
sich heiß an.
Natürlich brauchten sie nicht öffentlich zu fahren. »Bitte«,
mit einer Selbstverständlichkeit, die Berenike nicht gewöhnt war, öffnete Horst
die Autotür für sie. Schwarzer Alfa Romeo, was hatte sie auch anderes erwartet!
Nur unterbewusst bemerkte Berenike den grünen Wagen, der
hinter ihnen aus einer Parklücke schoss. Kurz blitzte in ihr eine Erinnerung auf.
Dieses Jadegrün sah man heute selten. Sie drehte sich um, das Auto war
verschwunden. Sie wollte schon Horst darauf ansprechen, aber der griff gerade
sachte nach ihrem Knie. »Wie geht’s dir, Berenike?« Ein kurzer, intensiver
Blick folgte.
Er fuhr schnell und gekonnt. So weit es der Feierabendverkehr
eben zuließ. Es ging über den Gürtel, und weiter durch ein kompliziertes
Geflecht aus Einbahnen und Linksabbiegeverboten. Vor einem Gründerzeithaus
parkte Horst. Berenike betrachtete die graue Fassade mit ihren Frauengestalten.
Argentinierstraße 15a, im besseren Teil des vierten Bezirks, wo auch einige
Botschaften ihren Sitz hatten.
»So, wir sind da. Komm mit in Krokis bescheidene Bleibe.«
»Kroki?«
»Spitzname meiner Schwester. Als Kinder haben wir gesagt, sie
schaut wie ein Krokodil aus.« Horst näherte sich Berenikes Gesicht. Sie musste
lachen.
»Ihr wirklicher Name ist tabu. Keiner kann von ihr verlangen,
dass sie den verwendet«, erklärte er mit theatralischer Stimme.
»So furchtbar?«
Horst nickte.
»Und du heißt gern Horst?«
»Na ja, geht so.«
Berenike dachte an das Horst-Wessel-Lied, aber vielleicht
kannte er diese Nazihymne gar nicht. Und überhaupt wollte sie heute nicht an
jene Zeit denken. Sie wollte sich ablenken heute, amüsieren. Und schließlich
konnte man sich den eigenen Namen nicht aussuchen.
»Berenike.« Er ließ ihren Namen langsam auf der
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