Ausgetanzt
Aber froh, dass ich dich aufgesucht
habe. Ich will nicht, dass Hepsen …«
»Dass ihr das Gleiche wie deiner Freundin Leyla passiert?
Wieso das denn?«
»Du lebst in Mehmets Nähe, lass ihn nicht aus den Augen. Ich
bitte dich. Ich bitte dich sehr. Vielleicht ist er …«
»… ein Mörder?«
»Mörder? Ich weiß nicht. Er benimmt sich so anders in
letzter Zeit, er sollte nicht trinken. Vielleicht ist es nur das.«
»Wie geht es Hepsen überhaupt?«
»Sie ist noch immer wie vom Erdboden verschluckt. Ich mach
mir solche Sorgen.« Güls glattes Gesicht zerfurchte sich mit einem Mal, in
ihren Augen schwammen Tränen.
»Aber wo kann sie sein?«
»Ich weiß es nicht. Ich hab alle Verwandten und Bekannten
durchtelefoniert. Keiner hat sie gesehen. Die Kleine dreht durch.«
Na super. Was für ein Fall! Alle tauchten sie nacheinander
ab. Erst als Berenike wieder allein in der Wohnung von Horsts Schwester war,
fiel ihr ein, was sie an Güls Besuch so irritiert hatte: Sie hatte der
Friseurin nie verraten, wo sie in Wien nächtigte.
Einundzwanzig
Five O’Clock Tea
Der Zug war voll. Es sah aus, als stellten die
ÖBB jetzt absichtlich zu wenige Züge bereit, um den verbliebenen Passagieren
vorzugaukeln, wie gefragt Bahnfahren war. Horst hatte Berenike in letzter
Minute abgeholt. Sie war schon drauf und dran gewesen, ein Taxi zu rufen.
»Ein Stau«, kommentierte er schnaufend. Und: »Sehr
zivilisiert, Kroki wird nicht einmal bemerken, dass hier jemand übernachtet
hat. Die Bedienerin kommt sowieso jede Woche.« Auf der rasanten Fahrt schwatzte
er wieder von einem Besuch im Ausseerland und von einer gemeinsamen Reise nach
Amerika. Berenike ließ ihn reden und kommentierte seinen Vorstoß nicht weiter.
Rasch hatten sie sich dann verabschiedet.
Ein sportlicher Mann half Berenike im Abteil, ihre Tasche ins
Gepäckfach zu befördern. Sie war erfreut über diese unerwartete Geste der
Höflichkeit. Das Zugabteil füllte sich mit hektisch durcheinanderstolpernden
Menschen. Wären sie Kinder gewesen, hätte man bei ihnen Aufmerksamkeitsdefizit
diagnostizieren können. Eine Frau plumpste auf einen Sitz und brabbelte in ihr
Handy, dass sie einen anderen Zug hatte nehmen wollen, doch der sei ausgebucht
gewesen, der Schaffner habe niemanden einsteigen lassen.
»Frechheit«, keppelte sie ins Telefon. Sie klappte das
Tischchen auf, wieder zu, wieder auf. Wuchtete eine Laptoptasche darauf,
schaltete das Gerät ein, laut erklang der Windows-Startton, während sie das
Mobiltelefon grußlos weglegte.
»Ist hier noch frei?« Ein junger Mann hatte die Abteiltür
aufgestoßen und hechtete herein, bevor jemand eine Antwort gab. Irgendwer
nickte ihm zu. Er stemmte Reisetaschen ins Gepäckfach, eine kleine Frau, noch
jünger als er, folgte ihm stumm auf Schritt und Tritt. Die beiden setzten sich
nebeneinander. Noch ein Laptop, noch eine Startmelodie. Der Mann blickte auf
den Bildschirm, fummelte mit einer Hand an seinen Jackenschößen, kramte in den
Taschen, suchte offenbar irgendwas, die Finger der anderen Hand hämmerten auf
die Tasten. Wieder irgendein elektronisches Geräusch, ein Handy wohl. Der
ständige Lärm erschöpfte Berenike. Der Adrenalingeplagte, natürlich. Er sah
lange und überlegend auf das Display, während das Gerät weiter vor sich hin
dröhnte. Dabei trat er Berenike auf den Fuß.
»Oh, ’tschuldige.« Endlich nahm er das Gespräch an. »Kramer.«
Mit dem Ding am Ohr schob er sich hinaus auf den Gang. Stieß an Berenikes Knie.
Sah sie böse an. Zerrte die Tür von außen zu. Man sah ihn ins Telefon keuchen,
dann verschwand er zum Glück aus Berenikes Blickfeld.
Endlich lag die Stadt hinter ihnen, sie fuhren durch saftiges
Wienerwaldgrün, Felder und kleine Dörfer. Das Handy weckte Berenike aus dem
Trancezustand, den Bahnfahren bei ihr auslöste. Etwas bewegte sich, wenn sie
sich bewegte, alles schien unterwegs und im Bereich des Möglichen.
Jonas holte sie in die Realität zurück. »Servus, Berenike. Wo
bist du gerade?«
»Im Zug, zurück nach Aussee.«
»Dann ist es gut. Der Beautykiller – es sieht danach aus,
dass er wieder zugeschlagen hat. In Wien.«
»Meinst du den Tod von Frau Starkmann? Ich war am Tatort,
Jonas.«
»Wie bitte? Sag mal, hörst du mir eigentlich zu? Ich bat dich
in deinem eigenen Interesse, dich rauszuhalten.«
Die Abteiltür sperrte sich, als sie sie öffnen wollte, nur
mit Mühe kam sie hinaus. Im Gang sprach es sich leichter, auch wenn dauernd
Leute vorbei wollten, so voll war der
Weitere Kostenlose Bücher