Ausgetanzt
einem
Schlüsselsymbol gekennzeichnet war. Kurz darauf stürmte die türkische
Friseurmeisterin herein, die weiblichen Formen in eine teuer aussehende
Jeansjacke gehüllt, ihre dunklen Haare wehten hinter ihr her. Bewundernswert,
dieses Haar, so glatt und elegant.
Gül sah sich um. »Du verreist?«
»Ich fahre zurück ins Salzkammergut, wo ich lebe.«
»Aha.« Wieder sah sich Gül prüfend um.
»Kann ich dir eine Tasse Tee anbieten, Gül?«
»Danke, das ist lieb. Aber dafür ist jetzt keine Zeit. Ich
möchte dich bitten …« Gül kramte mit ihren manikürten Fingern in ihrer Jacke.
Endlich brachte sie ein zerknittertes Foto zum Vorschein. »Das war meine
Nachbarin.«
»War?«
»Den Rest erkläre ich dir gleich. Komm mit.«
»Aber ich muss zum Zug.« Von draußen hörte man Donnergrollen.
»Komm, nur kurz.«
»Bitte, Gül, ich hab eine furchtbare Nacht hinter mir …«
»Es dauert wirklich nicht lange.« Gül zog Berenike
unerbittlich mit dem Griff ihrer kleinen, kühlen Hand mit sich, zur Wohnungstür
und hinaus, die Wendeltreppe hinunter.
»Also gut.« Zumindest die Wohnungsschlüssel hatte Berenike
schnell geschnappt. Wind rüttelte an den alten, klapprigen Gangfenstern. Eine
Krähe flog schreiend vorbei.
Gül öffnete die Beifahrertür eines Autos, das direkt vor dem
Haus parkte. »Ehrlich, es dauert nicht lang, steig ein.«
Berenike überlegte, was hier gespielt wurde, ob das wohl der
zweite Akt des Dramas um Hepsens Attacke war. Auf eine türkische Racheaktion
hatte Berenike keine große Lust.
Gül legte einen Blitzstart hin. »Du wirst es gleich sehen.«
Mit einem Schlag strömte der Regen herab, Hagel mischte sich
laut trommelnd darunter. »Bitte, Gül, fahr vorsichtig.«
»Natürlich, was hast du gedacht?« Im Schritttempo ging es den
Gürtel entlang. Berenike zappelte auf ihrem Sitz. Wenige Minuten später bremste
Gül. »Steig aus, ich will dir was zeigen.« Die Türkin zog ihre Kapuze über den
Kopf. Sie marschierte voraus, auf eine mannshohe Mauer zu. Berenike blieb
nichts übrig, als ihr zu folgen. Hinter der Mauer waren Bäume und Sträucher zu
sehen. Der Regen knallte hart auf ihren Kopf. ›Evangelischer Friedhof
Matzleinsdorf‹ las sie auf einem Schild. Und die Öffnungszeiten. Zielstrebig
rannte Gül durch den Regen, Berenike stolperte ihr auf dem glitschigen Boden
hinterher. Einen breiten Weg in der Mitte entlang, irgendwo links, dann wieder
rechts, noch einmal links, geradeaus. Mittlerweile waren sie patschnass wie
junge Hunde.
»So, hier sind wir.« Gül blieb stehen.
›Geliebte Leyla‹, las Berenike, ›1971 bis 2004‹. Sie sah zu
Gül und wieder auf das Grab. Schmucklos, keine Blumen, nur harter, nackter
Stein. Das helle Material war leicht vermoost.
»Der Name passte zu ihr, so klein und zierlich und schön, wie
sie war, wie eine schimmernde Sternennacht.« Gül verstummte. »Niemand kommt
hierher außer mir, glaube ich. Der Mann … er ist nach wie vor flüchtig.«
»Er hat …?« Berenike sah sich um. Der Friedhof lag von
Verkehr umtost da, kaum Besucher waren außer ihnen beiden zu sehen. Von den
umstehenden Gebäuden lugten geschlossene Fenster abweisend herüber.
»Ihr Mann hatte sie jahrelang geschlagen und terrorisiert.
Sie war so eine liebe, kluge Frau. Hatte ein Diplom von der Uni in Ankara. Aber
so klein und zart und schüchtern. Ich hab ihr meine Hilfe angeboten, immer
wieder. Sie wusste sich nicht zu wehren.« Gül schluckte. »Gehen wir.«
Stumm stapften sie durch den Regen. Berenike fühlte sich so
hilflos, und die Wut fraß sie von innen her auf. Als sie endlich im Auto saßen,
sagte Gül: »Ich will nicht, dass Hepsen so was passiert.«
»Überall tote Frauen um mich herum. Ich halte das nicht aus.«
Berenike hieb auf das Armaturenbrett vor ihr, zuckte zurück vor Schmerz.
Wenigstens überdeckte das kurz den anderen, den inwendigen Schmerz, dieses
Feuer der Not.
»Was ist, Berenike?«
»Weißt du das Neueste noch nicht? Hat dir Mehmet nichts
gesagt?«
»Ich habe ihn seit unserem letzten Treffen nicht mehr
gesehen.«
»Es gab einen Todesfall in der Wiener Zentrale seiner Firma.«
»Ein Unfall?«
»Nein. Mord.«
»Wie schrecklich. Was ist passiert?«
»Mehmets oberste Chefin ist tot. Erstochen, wie’s aussieht.
Euer kluger Freund hat mich angerufen. Weil er Angst hatte, verdächtigt zu
werden.«
»Mehmet?«
»Ja.«
»Komisch. Er ist Securitymann, er müsste doch selbst mit so
was fertig werden.«
»Stimmt.«
»Ich bin total verwirrt.
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