Ausgetanzt
Front über Berenike.
»Nein, lass. Ich brauche nur Ruhe …«
»Wer war der Mann dort auf dem Sofa?«
»Gero? Was ist mit ihm?«
»Das versuch ich dir die ganze Zeit zu sagen. Er war’s.«
»Was?«
»Er hat’s getan.«
»Was denn? Dich geschubst?«
»Er war der Mann, der Caro bedroht hat.«
»Wie bitte?«
»Er ist ihr ins Tanzstudio gefolgt, kurz vor ihrem Tod. Ich
hab dir davon erzählt.«
»Ja, hast du.« Der Schädel brummte. Jeder Gedanke schien sich
zu verstecken, gut gepolstert, um nicht gedacht werden zu müssen.
»Zum Glück hat Mehmet den Angreifer damals verscheucht. Wenn
ich daran denke, wie aggressiv dieser – Gero, sagst du? – wie brutal er damals
wirkte, wird mir heute noch schlecht. Er schien zum Äußersten bereit. Das hat
sich jetzt wieder gezeigt.« Amélie lächelte, es wirkte fehl am Platz. »Ihr
könnt Mehmet fragen, er würde diesen Gero auch wiedererkennen. Mein Mehmet hat
was drauf.«
Wenn du wüsstest, Berenike musste sich zurückhalten, um ihrem
blond gelockten Gegenüber nicht die Illusionen zu rauben. Dieses
emotionsgeladene Gespräch musste warten.
»Und wo ist Gero hin?«
»Weg. Nachdem ich ihn erkannt hab.«
»Weg? Wohin?« Berenike sprang auf. »Aua. Wir müssen zu
Ragnhild, komm.« Noch immer pochte es in Berenikes Kopf, dass sie glaubte, die
Schädeldecke würde ihr platzen und das Hirn davonfliegen. Vielleicht wäre dann
endlich Ruhe. »Er wohnt dort. Wir müssen ihn in der Pension überrumpeln.
Schnell!«
Ragnhild sah überrascht von ihrem kleinen
Empfangstresen auf, als Berenike und Amélie in ihr helles Foyer stürmten.
»Wir müssen zu Gero, schnell!« Berenike bemühte sich, nicht
zu schreien.
»Gero? Den hab ich nicht gesehen.«
»Wo ist sein Zimmer?«
»Er hat das Apartment nach hinten raus. Kommt mit.«
Gemeinsam schlichen sie auf Zehenspitzen den Gang entlang.
Ragnhild klopfte, wartete – nichts. Mit ihrem Zentralschlüssel sperrte sie auf.
Der große Raum ging auf eine Veranda, deren Tür sich zum Garten öffnete. Sie
stand offen. Und das Apartment … war leer. Gero war weg, mitsamt seinem
Trainingszeugs. Seile, Tauchanzüge, Hanteln und sonst noch was, mit dem
Berenike ihn im Lauf der Zeit gesehen hatte. Nicht ein einziges
Papiertaschentuch lag im Mistkübel.
»Er muss über den Garten geflüchtet sein, sonst hätte ich ihn
gesehen. Ich war die ganze Zeit an der Rezeption und habe Reservierungen
überprüft.« Ragnhild keuchte beim Reden und raufte sich die roten Locken. An
der Stirn mischten sich ein paar graue Haare in das Rot. »Ich hab’s gewusst.
Ich hab geahnt, dass er abhaut, ohne seine Rechnung zu bezahlen. Das Schwein.
Und ich lasse mich drauf ein, weil er mir von Klunkern aus Afrika erzählt.«
»Ragnhild, darum kümmern wir uns später. Er hat Amélie
attackiert. Und früher schon Caro. Wir müssen ihn suchen.«
»Der Mann einer Frauenhaus-Bewohnerin, soweit ich Caros Worte
in Erinnerung hab.«
Die Norwegerin stand wie angewurzelt da. »Aber das ist ja
gruselig, so was! Furchtbar!« Die Pensionsbesitzerin riss die Tür des Bades
auf, auch dort Leere. Sie schlug die Tür wieder zu. »Ich bin froh, dass der weg
ist. Wie unheimlich. Aber meine offene Rechnung, blöd ist das, ich brauch das
Geld.«
»Was fährt er für ein Auto?«, unterbrach Amélie, schon auf
dem Weg nach draußen. Sie sprang in ihren Wagen, startete. »Das Kennzeichen,
Ragnhild, weißt du, wie es lautet?«
»Ich erinnere mich nur an einen grünen Geländewagen und ein
Salzburger Nummernschild.«
Grün, wieder einmal grün! »Was für ein Grün, Ragnhild?«
»Ein helles Grün, schwer zu beschreiben.«
Wenn sie nur endlich das Rätsel um diese grünen Autos lösen
könnten, die ständig auftauchten! Berenike griff sich an den Kopf. Sie wurde
von einem plötzlichen Schwindel erfasst, die pralle Mittagssonne tat ein
Übriges. Amélie ließ den Motor aufheulen. »Du kannst nicht allein los!«, schrie
Berenike sie an, doch da war Amélie schon mit quietschenden Reifen auf die
Hauptstraße eingebogen.
»Ruf Jonas an!«, brüllte Ragnhild.
»Aber …«
»Für eure persönlichen Reibereien ist jetzt keine Zeit,
Berenike! Oder willst du noch mehr Tote?«
»Natürlich nicht.«
Berenike wählte, erreichte aber nur die Mobilbox. »Hier
spricht Berenike«, stieß sie hervor, und fuhr überdeutlich fort: »Ruf mich
bitte sofort an!« Für Höflichkeiten war keine Zeit.
Dann hämmerte sie die Nummer 133 ins Telefon. »Inspektor
Lichtenegger, bitte. Mein Name
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