Ausgeträllert (German Edition)
sagte ich. »Was, wenn Wolfi lediglich versucht hat, den Knipser zu entwaffnen, nachdem er gesehen hatte, dass er der Nachtigall die Kehle durchgeschnitten hatte und sie über Bord werfen wollte?«
Winnie fasste sich an den Kopf. Aber meine Worte hatten gewirkt. Der Knipser verlor die Contenance und verlangte auf der Stelle einen Anwalt. Dann brüllte er mich an, ich solle gefälligst nicht so einen Unsinn reden. Ich würde doch wissen, wann er auf das Aussichtsdeck gegangen sei, und wie: nämlich ohne ein Messer in der Hand, dafür aber mit seiner Kamera.
Ich zuckte die Schultern und sagte zu Winnie: »Das weiß ich nicht mehr genau.«
Racic brach in Tränen aus und war einem Nervenzusammenbruch nahe. Raoul, der Knipser und ich wurden von Winnie auf den Flur geschickt. Zwei Beamte begleiteten uns. Winnie wollte vermutlich weitere Opfer unter den Anwesenden vermeiden.
»Gib mir die Nummer von diesem Anwalt, dem braungebrannten Typen, den du da heute begrüßt hast«, sagte der Knipser.
»Warum sollte ich?«
»Ich brauche ja wohl einen Anwalt! Ist das nicht offensichtlich? Ich bin hier plötzlich ein Verdächtiger in einem Mordfall! Und du leidest unter Gedächtnisverlust. Ich hab’ den Eindruck, das macht dir sogar Spaß.«
Raoul verdrehte die Augen.
»Nee, nee«, sagte ich. »Pass mal auf! Jetzt sag ich dir was, Herr Fotograf: Der Staranwalt kann dich nicht vertreten, weil er Rudi Rolinski vertritt – gegen dich. Es handelt sich zwar um zwei verschiedene Fälle, aber ich glaube, dass das gegen die Standesehre geht. Verstehst du? Er kann dich nur vertreten, wenn Rudi nicht mehr sein Klient ist.«
Die beiden Polizeibeamten guckten interessiert. Der Knipser ballte die Fäuste.
»Hast du es kapiert?«
»Du erpresst mich, das ist alles, was ich hier kapiere«, sagte er. »Ich habe niemanden umgebracht. Ganz im Gegenteil, ich habe einen Irren davon abgehalten, noch mehr Unheil anzurichten. Vielleicht wollte er uns alle abmetzeln. Und ich bin dazwischen gegangen: Ganz ohne Rücksicht auf mein Leben.«
»Du hast ihn mit deinem Blitzlicht geblendet. Das war alles.« Ich setzte mich neben ihn, beugte mich zu ihm hinüber und flüsterte ihm ins Ohr: »Du könntest mich einmal im Leben glücklich machen: Vergiss doch endlich mal deine Scheißreifen, und du kriegst einen tauglichen Anwalt. Sonst kannst du dir wirklich morgen früh Sorgen machen, wenn im Männer-Duschraum der Justizvollzugsanstalt die Seife vom Boden aufgehoben werden muss.«
Raoul faltete die Hände und murmelte irgendwas auf Katalanisch.
Winnie steckte seinen Kopf durch die Tür und winkte mich herein.
»Überleg es dir«, sagte ich zum Knipser. »Ich werde gleich nach Hause gehen ... und dann kannst du sehen, wo du bleibst.«
Winnie zog mich von ihm weg und schob mich ins Büro.
»Bevor du irgendwas sagen kannst, Herr Kommissar. Ich habe nur eine Bitte: Sperr den Knipser in eine Zelle, nur für ein paar Minuten. Bitte!«
Winnie zog die rechte Augenbraue hoch und sagte: »Raoul und du, ihr seid entlassen. Und bevor es noch mehr dumme Ideen gibt: Bitte das Protokoll unterschreiben und dann raus hier, Frau Abendroth.«
»Eins noch, Winnie. Glaubst du, Wolfi hat das getan?«
»Nicht wirklich«, sagte er. »Genauso wenig wie der Knipser. Wahrscheinlich hat Wolfi das Messer nur aufgehoben. Das wäre durchaus vorstellbar.«
Ich atmete erleichtert auf. »Raoul findet zwar Jorgo äußerst verdächtig, aber ich kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, dass Jorgo die ganze Zeit im Salon war. Und später haben wir zusammen Kisten rausgetragen. Er war nie auf dem Oberdeck. Warum der jetzt abgehauen ist, weiß ich nicht«, sagte ich. »Vielleicht hat er den Mörder gesehen? Oder vielleicht kann er sich denken, wer es gewesen ist? Vielleicht hat auch Wolfi den Mörder gesehen? Vielleicht hat er Blut an den Händen, weil er das Opfer verteidigen wollte ...? Wolfi ist nicht gewalttätig. Und er ist der allergrößte Fan von La Rose. Warum sollte er ihr plötzlich die Kehle durchschneiden?«
»Fragen über Fragen«, sagte Winnie. »Wir werden es in Erfahrung bringen, irgendwie. Petra Heibuch ist auf dem Weg zu Wolfi. Peter hat ihn schon in die Psychiatrie verfrachtet. Die Schnittwunden waren nicht gefährlich. Ich fahre jetzt auch. Vielleicht kann ich mithilfe der Mutter etwas aus dem Jungen herausbekommen ... Ich wäre schon froh, wenn ich die Situation eingrenzen könnte. Wie und wann ist der Täter aufs Schiff gekommen? Und wie und
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