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Ausgewählte Übertreibungen: Gespräche und Interviews 1993-2012 (German Edition)

Ausgewählte Übertreibungen: Gespräche und Interviews 1993-2012 (German Edition)

Titel: Ausgewählte Übertreibungen: Gespräche und Interviews 1993-2012 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Sloterdijk
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Männer der Stunde sind, nicht gut leiden. Das ist eine neue Form von korrekter Heuchelei heute, an der man schon den Überdruß von morgen ablesen kann. Dies zum Thema zu machen, ist Recht der Philosophie.
    Schmidt: Wie haben Sie eigentlich die Philosophie als Ihr Lebenselixier entdeckt?
    Sloterdijk: Ich weiß es, um die Wahrheit zu sagen, nicht wirklich. Ich kann das nur psychologisch umschreiben. Die Tätigkeit ist da, und man erfindet das Motiv dazu. Also eine bestimmte Art von Nachdenklichkeit, ein bestimmtes Talent, Bücher sehr leicht zu absorbieren und sie am Tage nach der Lektüre wie ein Element der Muttersprache zu sprechen. Das hat sich bei mir relativ früh manifestiert. Als Vierzehnjähriger habe ich, so komisch das klingt, bereits das Vokabular der Kantischen Philosophie in meinen Selbstgesprächen benutzt. Ich hab' mit vierzehn zum ersten Mal Kants erste Kritik und den Zarathustra von Nietzsche gelesen und in diesem Alter auch eine zusammenfassende Darstellung der philosophischen Gottesbeweise als Hausarbeit geschrieben. Das alles hat mir die etwas eigenartige Qualifikation verschafft, daß ich die philosophische Hochsprache als Umgangssprache sprechen lernte. Da ich vaterlos aufgewachsen bin, habe ich keine Zeit mit falscher antiautoritärer Dialektik verloren. Ich erlebte keine väterlichen Gewalten, die mir irgendwas hätten aufpressen wollen. Und da habe ich mich mit einer Gefräßigkeit ohnegleichen auf das geworfen, was mir als das Beste in dieser Zeit erschien: Denken und Sprache von Max Bense, Foucault, Adorno, Benn und Gotthard Günther, dessen Philosophie der Kybernetik auch heute noch unterbewertet ist.
    Schmidt: Der Sprachspieler in Ihnen wird ja nie müde, immer neue Darstellungsexperimente zu machen, um die Grenzen des expressiv Möglichen auszuweiten. In den Sphären , Ihrem neuesten Werk, verwenden Sie eine geradezu fremd klingende Sprache, um Ungegenständliches zu beschreiben.
    Sloterdijk: Das ist richtig. Sphären I und auch Sphären II sind beide in einer Sprache geschrieben, die es nicht gibt – einer Sprache, die ich eigens für dieses Buch erfunden habe.
    Schmidt: Wie erfindet man eine Sprache?
    Sloterdijk: Es ist ganz natürlich, wenn man im Rahmen einer philosophischen Individuation am Ende eine eigene Sprache als Präzisionsinstrument für ein neuentdecktes Problemfeld schafft. Es ist in der Tat innerhalb der Muttersprache eine Fremdsprache, und sie charakterisiert mich, solange ich sie spreche. Wenn man, wie ich, grenzgängerische Operationen durchführt, kann man diese nicht mit dem Deutsch eines Nachrichtensprechers bewältigen.
    Schmidt: Das haben Sie ja bereits in Ihrem bisher einzigen Roman Der Zauberbaum zum Ausdruck gebracht.
    Sloterdijk: Also, das Buch Der Zauberbaum ist eines, das mir unter allen am meisten Mühe bereitet hat, weil ich mir da erst eine Freiheit erobern mußte, die ich, bevor ich sie erlebt habe, nicht für möglich gehalten hätte.
    Schmidt: Im Zauberbaum geht es um die Entdeckung des Unbewußten. Haben Sie sich selbst einmal einer Analyse unterzogen, um so tief schürfen zu können?
    Sloterdijk: Ich habe in dem Buch nichts erfunden. Alles, was da steht, ist eine durch die literarische Raffinerie getriebene Selbstanalyse. Es ist eine übersetzte Autobiographie. Mein Leben hat in den Jahren zwischen 1975 und 1985 stark unter dem Vorzeichen der Selbsterfahrung gestanden. Dazu gehört auch meine indische Exkursion.
    Schmidt: Sie meinen damit den mehrmonatigen Aufenthalt in der Gemeinschaft eines Gurus?
    Sloterdijk: Der Auslöser war konkret nicht so kulturkritisch, wie man es im Nachhinein vielleicht erzählen würde. Ich bin nicht als Romantiker nach Indien gefahren. Es war schon eine ganz konkrete Faszination, der ich auf den Grund gehen wollte. Sie ging von einem Guru aus, von dem ich den Eindruck hatte, daß ich gewinne, wenn ich mich von ihm verführen lasse. Dieser spirituelle Impuls und die anschließende Amerika-Erfahrung haben meinen scheuen, introvertierten Komponenten nicht erlaubt, mein Leben zu determinieren, sonst wäre es anders verlaufen. Ich wäre wahrscheinlich früh gescheitert.
    Schmidt: Waren es die einschneidenden Erlebnisse der psychoanalytischen Experimente und des Indien-Abenteuers, die Ihren Katastrophen-Sarkasmus wohl endgültig zum Verstummen gebracht haben?
    Sloterdijk: Dafür mache ich mindestens zwei Dinge verantwortlich. Einmal, daß ich angefangen habe, Schriftstellerei und Philosophie als Beruf zu definieren. Das war

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