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Ausgewählte Übertreibungen: Gespräche und Interviews 1993-2012 (German Edition)

Ausgewählte Übertreibungen: Gespräche und Interviews 1993-2012 (German Edition)

Titel: Ausgewählte Übertreibungen: Gespräche und Interviews 1993-2012 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Sloterdijk
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Spiel, man kann hinein. Männlichkeit drückt sich in dem Merkmal »für Vorwärtsbewegungen geeignet« aus. Weil Automobile diese beiden Eigenschaften auf ideale Weise synthetisiert haben, sind sie auch perfekte Implementierungen für das Verlangen nach dem Hermaphroditen. Die Massenkultur ist seit Beginn dieses Jahrhunderts darauf aus, die Geschlechterdifferenz auszulöschen und Unisexsubjekte hervorzubringen. Die Autos sind den Menschen hierin voraus. An überzeugenden Bisexuellen wird noch gearbeitet, die Autos sind schon am Ziel.
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    [ 7 ] Dieses Gespräch zwischen Peter Sloterdijk und Mateo Kries erschien unter dem Titel »Wir fahren immer auf dem Maternity Drive …« im Ausstellungskatalog Automobility – Was uns bewegt , Vitra Design Museum, Weil am Rhein, 1999, S. 102-113.
Mateo Kries ist Chefkurator am Vitra Design Museum in Weil am Rhein.

Arbeit am Ungesagten der Kultur

Im Gespräch mit Felix Schmidt [ 8 ]
    Schmidt: Herr Sloterdijk, man zählt Sie zu den Geistesheroen der Nation, nennt Sie gar einen Star und hat Sie auf den freien Platz neben Schopenhauer gesetzt. Sitzen Sie da gut und richtig?
    Sloterdijk: Man sitzt immer sehr unbequem neben den großen Toten. Ein Lebender sollte nach Möglichkeit solchen Vergleichen ausweichen, weil der Preis dafür zu hoch ist. Auf der anderen Seite will man ja, wenn man Autor ist, im Grunde genommen mehr den Toten gleichen als den Lebenden. Es gehört zu den Paradoxien der Autorenexistenz, daß man sich seine Idole sehr häufig – in der Philosophie ohne Ausnahme – in den Reihen der großen Verklärten sucht. Aber die Zuordnung im Sinne einer Familienähnlichkeit kann ich akzeptieren, denn von bestimmten Autoren des 19. Jahrhunderts verläuft eine gerade Linie zu meiner Arbeit und zu meiner Art des Philosophierens. Von Kierkegaard, Schopenhauer und vor allem Nietzsche.
    Schmidt: Zu Ihrer für einen Geisteswissenschaftler ungewöhnlichen Popularität hat der Skandal um Ihren Vortrag »Regeln für den Menschenpark« enorm beigetragen. Wie ist die Lage nach dem Eklat?
    Sloterdijk: Ihre Frage hat einen paramilitärischen Unterton, ich werde versuchen, dem Ernst dieses Ausdrucks gerecht zuwerden. Also: Meine persönliche Lage hat sich insofern verändert, als ich durch die sogenannte »Menschenpark«-Affäre wieder mehr zu einem klassischen politischen Intellektuellen resozialisiert worden bin. Ich hatte eine Aura von marginaler Philosophie, eine Atmosphäte von Künstler-Philosophie um mich herum kreiert, in der sich aufzuhalten, aufs Ganze gesehen, mit vielen Vorteilen verbunden war. Das hat sich jetzt wieder zurechtgezogen. Mit der neuen Definition des öffentlichen Intellektuellen bin ich inzwischen einverstanden.
    Schmidt: Beschleicht den öffentlichen Intellektuellen nicht manchmal das Gefühl, das Selbstverständnis der Nation prägen zu müssen?
    Sloterdijk: Ja. Bei solchen Bedeutsamkeits-Krisen empfiehlt es sich, sich entweder in eine vernünftige Arbeit zurückzuziehen oder an einer Konferenz teilzunehmen, bei der einem klar wird, daß dieses Phantasma vom staatstragenden Intellektuellen keinerlei Anhaltspunkt in der Realität hat, daß es bestenfalls eine freundliche Wahnvorstellung ist.
    Schmidt: Haben Sie sich eigentlich in letzter Zeit Ihren Geisteszustand untersuchen lassen?
    Sloterdijk: Sollte ich?
    Schmidt: Es war die Behauptung zu lesen, daß Sie aus Enttäuschung in den Wahnsinn fliehen würden.
    Sloterdijk: Ich staune immer über diese großartigen kostenlosen Diagnosen. Der deutsche Journalismus versteht sich sozusagen als Fortsetzung des spanischen Stierkampfs mit literarischen Mitteln und glaubt, in regelmäßigen Abständen eine Intellektuellen-Abschlachtung vorführen zu müssen. Es ist klar, daß die, die so daherreden, ihre Rolle als Banderilleros in der Arena wahrnehmen, wobei diese kleinen Quälgeister den Stier reizen sollen, wenn er nicht in der erwünschten Weise kämpft. Über diese Art von Amateur-Psychoanalyse kann ich mich nur amüsieren. Es ist allzu offenkundig, wofür diese Leute engagiert sind.
    Schmidt: In diesen Angriffen sind doch noch die Nachwirkungen der großen »Menschenpark«-Debatte zu spüren, die nur langsam abklingt. Zu sehr hat sich die Meinung festgesetzt, Sie plädierten für ein Joint-Venture zwischen Philosophie und Gentechnik und im Zuge dessen für eine neue, aus der Selektion gewonnene Elite.
    Sloterdijk: Die Unterstellung, ich wolle Erziehung durch Züchtung ersetzen, ist eine gewaltige Dummheit, die

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