Ausgeweidet (German Edition)
spricht, ist natürlich die extreme Form der Gewalt, die Verstümmelung der Geschlechtsteile, vor allem das Öffnen des Brust- und Bauchraumes und die Entnahme der Organe. Auf den ersten Blick könnte man dieser Art der Verstümmelung eine sexuelle Motivation zugrunde legen«, denkt Alexander laut nach.
Nun schüttelt Clemens heftig den Kopf. »Unbändige Wut, Hass, das ja, aber kein Akt der sexuellen Befriedigung und auch keine Entmenschlichung des Opfers. Der Zusammenhang besteht darin, dass das Opfer als Missbrauchstäter angeklagt war und freigesprochen wurde. Die Verstümmelung der Genitalien ist Schuldspruch und Strafe zugleich. Das Aufbrechen hingegen ist anders motiviert.«
»Und wie?«, will Alexander wissen.
»Vorerst sehe ich das als Ritual.«
»Also gibst du mir recht. Es hat mit der Dramaturgie der Tat zu tun.«
»Ja und nein. Da verbirgt sich mehr dahinter.«
Clemens greift nach seinen Zigaretten und blickt Alexander an. Der nickt ihm zu, sie erheben sich und gehen vor die Tür. Kaum hat er einen tiefen Zug genommen, gibt Alexander zu bedenken: »Normalerweise sind starke Verstümmelungen ein Indiz dafür, dass Täter und Opfer sich kannten.«
»Da bin ich mir sicher. Jacques Briest war kein Zufallsopfer. Aber in welchem Verhältnis der Täter zu seinem Opfer gestanden hat, da habe ich noch überhaupt keinen Schimmer.« Clemens überlegt kurz. »Noch was. Die ordentlich zusammengelegten Kleider, was hältst du davon?«
»Auf jeden Fall braucht es nicht jemand zu sein, der privat ausgesprochen ordentlich ist. Eher jemand, der im Beruf auf Präzision und Genauigkeit Wert legen muss. Es hängt vielmehr mit der Planung und der Architektur des Mordes zusammen. Alles ist minutiös durchdacht, nichts oder nur wenig wird dem Zufall überlassen. Und dazu gehört auch das ordentliche Zusammenlegen der Kleidung. Du sprachst vom Ausbluten. Lässt man nicht Schweine ausbluten, oder verwechsle ich da etwas?«
»Anzunehmen, dass der Täter durch das Ausbluten die Sauerei etwas begrenzen wollte«, wirft Clemens ein, schaut sich um und zerdrückt seine gerade einmal halb gerauchte Zigarette im Aschenbecher, der vor dem Eingang steht.
»Komm, lass uns wieder reingehen, es ist ziemlich kühl geworden.«
»Da kommen jetzt im Winter schwere Zeiten auf dich zu.« Alexander grinst.
Als sie wieder am Tisch sitzen, erkundigt sich Alexander nach dem zuständigen Staatsanwalt. Da er häufig mit psychologischen Gutachten für die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft beauftragt wird, kennt er einige Kollegen von Clemens und natürlich auch die Staatsanwälte.
»Pia Cremer«, antwortet Clemens knapp.
»Da hast du aber Glück, die ist kompetent, engagiert, bereit, auch mal ein Risiko einzugehen, und sehr angenehm im Umgang.«
»Ja, ich bin auch heilfroh.« Clemens genießt einen weiteren Schluck Weißwein. »Sie scheint Privates und Berufliches strikt zu trennen.«
Alexander zieht eine Augenbraue hoch. »Hat sie dich abblitzen lassen?«
»So könnte man es nennen. Bei unserem letzten gemeinsamen Fall wollte ich sie – wirklich nur unter Kollegen, wir kamen gerade aus der Gerichtsmedizin – auf einen Drink einladen. Charmant, aber energisch hat sie mir einen Korb gegeben.«
»Da warst du aber mutig.«
»Wieso?«
»Ich wüsste niemanden aus ihrem beruflichen Umfeld, zu dem sie privat Kontakte pflegt.«
»Sag bloß, du hast es auch schon mal versucht.«
»Du kennst mich doch. Vor mir ist keine gut aussehende Frau sicher.«
»Du bist also auch abgeblitzt!«
Alexander spielt den Empörten. Doch dann zuckt er mit den Schultern und gibt es lachend zu.
Clemens lacht mit und entschließt sich, bei der nächstbesten Gelegenheit einen zweiten Versuch zu starten, auch wenn der peinliche Zusammenstoß von heute Morgen ihm garantiert keine Pluspunkte eingebracht hat.
Clemens schaut auf seine Armbanduhr. »Wir sollten langsam aufbrechen, es ist schon recht spät geworden.« Alexander nickt. Eigentlich wäre er gern noch etwas geblieben, aber morgen um acht hat er schon seinen ersten Patienten, und da muss er hellwach sein. Sie bezahlen und verabschieden sich vom Restaurantbesitzer. Clemens begleitet Alexander ein Stück die Nordstraße hinunter, zieht noch schnell einen Parkschein für den nächsten Tag und holt die Gerichtsakten aus dem Kofferraum seines Autos.
Ehe sich Alexander versieht, ist Clemens schon auf die Duisburger Straße gesprungen und hat sich das einzig herannahende Taxi geangelt. Nachdem er die Autotür
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