Ausgeweidet (German Edition)
Nummer.
Freizeichen, kein Anrufbeantworter. Verärgert steckt er sein Handy wieder ein.
Ein Blick auf die Armbanduhr, und er beschleunigt seine Schritte.
Als er mit seinem Auto auf den Parkplatz im Schwarzbachtal einbiegt, sind auch hier die Kollegen schon längst weg. Nur das große Loch, in dem die Holzkiste versenkt war, ist noch durch Absperrbänder eingefasst und daran von Weitem zu erkennen. Er sieht sich um, geht ruhig zu den im Wind flatternden Bändern. Neben dem Loch geht er in die Hocke und starrt hinein. So tief, ein Schauer läuft ihm über den Rücken.
Er konzentriert sich. Hier kennt er den Täter. Immer wieder steht Schneider gedanklich vor ihm. Auch hier ist es Bestrafung, Rache. Auch diese Tat wurde geplant und vorbereitet. Schneider musste ein Loch graben, eine Kiste beschaffen und Hausmann hierher locken. Doch zwei wesentliche Unterschiede gibt es: Im Gegensatz zu der Tat im Grafenberger Wald fehlt hier die eiskalte Präzision. Und Schneider scheint die Tat auch nicht vollständig durchgeplant zu haben. Wollte er Hausmann in der Kiste sterben lassen? Oder ging es ihm nur darum, ihn zu quälen? Beide Täter sind ein hohes Risiko eingegangen, gingen aber jeweils anders damit um. Die Tat vom Grafenberger Wald lässt ein kalkuliertes Risiko vermuten, Schneider hingegen scheint alles auf eine Karte gesetzt zu haben. Er hat das Risiko in Kauf genommen. Wenn die Vermutung stimmt, dann ist der eine rational ergebnisorientiert vorgegangen, der andere hingegen verzweifelt, eher emotional-intuitiv. In beiden Fällen ist es Selbstjustiz, doch von zwei konträren Persönlichkeiten ausgeführt: Der eine ist menschlich-charakterlich kaputt, fertig, eine womöglich krankhafte Persönlichkeit, die Macht ausspielen will. Der andere ist verzweifelt, hat mit seinem Leben wahrscheinlich abgeschlossen und will nur noch bestrafen, wie jemand, der mit dem Rücken zur Wand steht und um sich schlägt.
Zurück im Präsidium geht Clemens direkt zu Maria, die ihn über den neuesten Stand informiert. Schneider muss seit Monaten recherchiert haben. Er war fest davon überzeugt, dass Richard Hausmann der Vergewaltiger seiner Tochter war. Hendrik hat Unmengen von Dateien auf Schneiders Computer gefunden. Er hatte sich alles von der Seele geschrieben, wie eine Art Vermächtnis. Seine Tochter hat Hausmann als ihren Vergewaltiger genannt. Doch als sie beide rechtliche Schritte einleiten wollten, wurden sie massiv unter Druck gesetzt, nicht nur von Hausmann, der gedroht haben soll, dass weder Tochter noch Vater je wieder einen Fuß auf den Boden bekommen würden. Dann hat sich Schneider eine andere Strategie ausgedacht. Sein Computer zeigt Fotos von Hausmann in eindeutiger Situation mit einer Prostituierten. Hendrik hat dazu recherchiert. So wie es aussieht, hat Schneider unter falschem Namen Hausmann erpresst und es so geschafft, ihn ins Schwarzbachtal zu locken.
»Mehr wissen wir noch nicht, aber das ist ja die Baustelle von Steinbeißer«, betont die Hauptkommissarin. Sie erläutert weiter, dass bei Schneiders Obduktion noch labortechnische Untersuchungen fehlen. Fest steht jedoch, dass er sich vergiftet hat und an multiplem Organversagen gestorben ist. Kein schmerzfreier Tod.
»Mein Gott«, rutscht es Clemens heraus. »Wir hätten einen Arzt hinzuziehen sollen.«
Maria berichtet weiter, dass Christian, Sonja und Florian nochmals ihr Glück versuchen mit Befragungen in der Nachbarschaft von Erika Wagner und Sieglinde Frank. Sie schaut Clemens verwundert an. »Hallo, hörst du mir zu?«
»Ja, ja. Nachbarschaft«, antwortet Clemens. Maria wartet geduldig. Diesen Gesichtsausdruck kennt sie. Clemens fixiert dann mit den Augen einen Punkt und starrt ins Leere. Ein sicheres Zeichen, dass er einem Gedanken nachhetzt, der sich verflüchtigen will.
»Ich hab’s. Hendrik soll sich mal schlau machen, ob in den Wochen vor dem Mord Verkehrskontrollen rund um den Rolanderweg durchgeführt wurden.«
»Was willst du damit erreichen?«
»Wenn wir mit den Befragungen nicht weiterkommen, dann eventuell so. Vielleicht hat Hendrik noch eine andere Idee. Der Täter muss Briest intensiv beobachtet haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass niemandem etwas aufgefallen ist.«
»Ich kümmere mich darum.«
»Ich gehe in Ruhe noch einmal alle Berichte durch. Wenn es geht, halte mir den Rücken frei.« Clemens verschwindet in seinem Büro.
Nach gut zwei Stunden taucht er wieder in Marias Büro auf, sie hockt gerade über den
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