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Ausgezählt

Ausgezählt

Titel: Ausgezählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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die Politik, den Polizisten nicht länger die lebensnotwendige Ausrüstung zu verweigern. Lediglich in Sachsen und Hessen gehöre die leichte Unterziehschutzweste zur persönlichen Ausstattung bei Einsatzbeamten.
    Anfang nächster Woche wird die Innenministerkonferenz über Konsequenzen beraten. Das teilte der nordrhein-westfälische Innenminister Dr. Axel Lemke in Düsseldorf mit. Er zeigte sich erschüttert über die Bluttat. »Diese Menschenverachtung und dieser Hass gegen Polizeibeamte sind für mich absolut unfassbar«, erklärte Lemke.

4.
    »So einen wünsche ich mir zu Weihnachten«, sagte Brunos Mutter und wühlte im Karton. Sie fand den Zeitungsausschnitt und schob ihn über die Kaffeetafel. Ein weißes Bündel blickte Bruno entgegen. Wie die Kohlen eines Schneemanns wirkten Augen und Schnauze, darunter baumelte die kleine rote Zunge.
    Süß, dachte Bruno. Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Er schwitzte und ihm war flau. Er hatte Novalgin-Tropfen gegen die Schmerzen genommen. Seine Temperatur war noch immer leicht erhöht.
    Mutter erklärte: »Ich weiß auch schon, wie er heißen soll. Felix.«
    »Das geht nicht«, widersprach Karen. »So heißt schon der Hund aus der Werbung.«
    Die Sechzigjährige antwortete nicht. Was ihr gegen den Strich ging, nahm sie einfach nicht zur Kenntnis. Sie bot ein weiteres Stück des selbst gebackenen Käsekuchens an, aber Karen und Bruno waren satt.
    Seine Mutter stellte eine zweite Schachtel auf den Tisch. Seit einiger Zeit war das ihr Hobby: Artikel zu archivieren, die ihr interessant erschienen. Wenn sie so weitermachte, würde sie bald ein ganzes Zimmer mit ihren Schuhkartons füllen. Genügend Platz hatte sie. Seit dem Tod ihres zweiten Mannes bewohnte sie das Häuschen allein.
    »Der Stern hat ein Foto von dir gedruckt, Bruno«, sagte sie. »Dass du immer diese alten Sachen anhast! Nimm dir mal ein Beispiel an deiner Frau. Karen ist immer wie aus dem Ei gepellt.«
    Julia Wegmann-Winterscheidt fand die Seiten, die sie aus der Illustrierten geschnitten hatte. Sie beklagte sich über die Brutalität der Welt. Wie gefährlich die Arbeit im Polizeidienst sei.
    Sie erzählte, dass Bruno schon als Neunjähriger Polizist hatte werden wollen – Karen musste sich bestimmt schon zum zehnten Mal die alte Geschichte anhören: Klein-Bruno, dem sein Lieblingsspielzeug geraubt worden war. Ein Modellflugzeug mit Benzinmotor, das er mit Hilfe seines Vaters zusammengebaut hatte. Auf den Rheinwiesen hatte Klein-Bruno gelernt, Loopings zu steuern. Der Flieger war sein ganzer Stolz gewesen, bis ihm eines Tages eine Bande Jugendlicher das Flugzeug aus den Händen gerissen hatte. Seine Mutter verständigte die Polizei und zwei Kommissare in Zivil hatten Bruno ausgefragt. Die Bande war nie erwischt worden.
    Zwar konnte sich Bruno dunkel an ein Büro im Präsidium erinnern, aber nicht daran, dass er schon damals Polizist hatte werden wollen. Doch die Geschichte war zum Bestandteil der Familienlegende geworden.
    Eine wacklige Legende, eine zerbrochene Familie. Wegmann-Winterscheidt – der Nachname seiner Mutter stand für zwei Ehen, die nicht lange gehalten hatten.
    Karen ermahnte Bruno, dass er sein Antibiotikum nehmen musste.
    Er schluckte die Amoxipen-Kapseln mit dem Rest Kaffee aus seiner Tasse.
    Julia Wegmann-Winterscheidt sagte: »Herr Farthmann weiß, wie in den USA solche Verkehrskontrollen durchgeführt werden. Der Sheriff nähert sich von hinten und zieht seine Waffe. Dann fasst er den Kofferraum an, um Fingerabdrücke zu hinterlassen. Als Beweismittel, falls der Fahrer den Sheriff erschießt und wegfährt. In den Staaten rechnen sie ständig mit so was.«
    Bruno reagierte allergisch auf den Namen Farthmann. Ein allein lebender Nachbar in Mutters Alter, der ihr neuerdings den Hof machte und sich dennoch zu hoch für gelegentliche Gärtnerarbeiten entlohnen ließ – zumindest sah Bruno das so.
    »Außerdem ist so ein Sheriff nie allein. Herr Farthmann meint, normalerweise machen Polizisten auch in Deutschland solche Kontrollen immer zu zweit.«
    »Julia, ich glaub, wir müssen jetzt los«, warf Karen ein und stand auf. »Für Bruno ist das hier viel zu anstrengend. Eigentlich hätte er das Krankenhaus noch gar nicht verlassen dürfen.«
    Sie wollte ihm aus dem Stuhl helfen. Bruno packte seine Krücken und wehrte seine Frau ab. Er schaffte das allein. Nach der Operation der großen Vene oberhalb der Kniekehle war ein Hämatom zurückgeblieben, das auf die Nervenbahn drückte.

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