Ausgezählt
gute Sicht. Der Regen ließ nach.
Das Radio unterbrach das Musikprogramm für ein Interview. Der Moderator fragte einen Kollegen aus der landespolitischen Redaktion nach Hövel aus. Der Reporter zählte auf – Stationen eines Politikerlebens: Referent des Bauministers, Landtagsabgeordneter, Staatskanzleichef im Ministerrang. Steile Karriere. Hövel sei Medienexperte, habe beste Kontakte zu Wirtschaftskreisen, gelte als ideologiefreier Macher – in der Stimme des Reporters lag Bewunderung.
Völlig unerwartet hatte Gernot Hövel als Manager bei einem US-Konzern angeheuert, der unlängst der Telekom einen Teil des Kabelnetzes abgekauft hatte. Die Amerikaner hatten dem bisherigen Staatskanzleichef ein Angebot gemacht, das er nicht hatte ablehnen können. Der Hörfunkmann zitierte die Formulierung aus dem Paten in aller Unschuld.
Selbst wenn ein WDR-Mitarbeiter von Kokaingerüchten gehört hätte, würde er sich hüten, sie zu verbreiten. Vielleicht war Hövel doch sauber und allein die Höhe des versprochenen Gehalts hatte ihn bewogen, die Branche zu wechseln.
Nein, dachte Bruno. Hövels Rücktritt am dritten Tag der Sonderermittlung konnte kein Zufall sein.
Er kalkulierte die Folgen: ganz klar, eine Niederlage. Er war nicht zu Potte gekommen. Die eine Prämisse dank Max Pommer erfüllt, die andere durch den Rücktritt des Politikers vergeigt. Die dritte kam für Bruno nie und nimmer in Frage.
Engel würde behaupten, dass die Sonderermittlung umsonst gewesen sei. Der Lange würde Bruno in der Kriminalwache versauern lassen.
Das Pop-Gedudel des Senders ging Bruno auf den Geist. Er drückte den Suchlauf. Nichts über Hövel in den anderen Programmen.
Bruno hörte Stimmen von draußen. Vor der Kneipe stand Lauffer und verabschiedete sich von den beiden Männern in den Mänteln. Ein weiteres Taxi hielt. Die Männer stiegen ein. Lauffer kehrte ins Haus zurück. Er nahm den Eingang, der zu den Wohnungen führte. Eine braun lackierte Tür, gegen die sich der Junge stemmen musste, um sie aufzukriegen. Grelles Neonlicht im Treppenhaus dahinter.
Bruno schlug auf das Lenkrad. Ihm fiel ein, woher er das Narbengesicht kannte. Vor etwa einem Jahr: Bruno war neu in der Kriminalwache. Ebi erhielt einen Anruf seines Schwagers. Das KK 33 hatte eine Zockerbude ausgehoben. Die Kollegen feierten den Erfolg an Ort und Stelle. Max lud Ebi und seinen neuen Partner ein.
Hierher. In die Wohnung über der Kneipe. Bruno erinnerte sich an die braune Tür, die nur mühsam zu öffnen war, und an das grelle Licht im Treppenaufgang.
Ebi und er waren in eine Feier gestolpert, wie Bruno sie noch nie erlebt hatte. Die Beamten des KK 33 vertilgten die vorgefundenen Alkoholvorräte. Cognac und französischer Rotwein vom Feinsten – keine Spielhölle für Habenichtse. Die Kollegen tranken Grand Grus aus der Magnumflasche. Sternhagelvolle Bullen spielten Black Jack an grünen Filztischen.
»Immer diese Überstunden!«, hatte Max gerufen und lauthals lachend die Karten gemischt.
Auf der Suche nach der Toilette hatte sich Bruno in einen Nebenraum verirrt. Dort warteten die Festgenommenen auf den Abtransport, nebeneinander mit Handschellen an ein Heizungsrohr gekettet.
Einer von ihnen war Lauffer gewesen.
Regen fiel und lief in Schlieren über die Scheibe. Die Wischblätter schrammten. Das ältere Pärchen verließ das Lokal. Der Wirt trat in die Tür und schnäuzte sich. Bruno spürte, wie der Blick des Schürzenträgers für Sekunden voller Argwohn auf ihm ruhte.
Bruno suchte nach einer Erklärung. Möglicherweise war die Zockerbude wieder in Betrieb genommen worden. Männer in Mänteln. Der narbengesichtige Taxifahrer, der wie vor einem Jahr seine Einnahmen beim Black Jack zu vermehren suchte. Und ein mittelalter Bursche mit knorriger Stimme, der ranging, wenn man die besagte Nummer wählte – der Chef des Ganzen.
Was hatte Heinz Klee mit der Wohnung im ersten Stock verbunden?
22 Uhr. Die erste Meldung der Nachrichten im unveränderten Wortlaut.
Engels Versprechungen: der dritte Stern, mehr Gehalt und eine neue Dienststelle – aus der Traum. Bruno fiel ein, dass Max wissen würde, wie es weiterging. Der Grauschopf hatte schließlich Beziehungen.
Bruno drückte die Wahlwiederholungsfunktion. Das Display leuchtete und zeigte die Liste der zuletzt gewählten Nummern. Das Batteriesymbol blinkte. Bruno suchte Pommers Mobilfunknummer und drückte die Wähltaste. Nach dem dritten Summton kam die Verbindung zustande. Leises Piepsen – der
Weitere Kostenlose Bücher