Ausradiert: Thriller (German Edition)
abgedroschensten Klischees? Er wusste das. Aber diese war schön, selbst in ihrem beschädigten Zustand. Zwei kleine Kinder, ein Blumenfeld, in Stücke gerissen, was gab es da noch zu sagen? Nick legte die Karte vorsichtig ins Handschuhfach, ungeöffnet.
Von der 10 auf die 15; Stoßstange an Stoßstange, ein drückender, diesiger Himmel, der bis Cajon Junction nicht aufklarte – die Sorte Fahrt, von der man schlechte Laune bekam. Aber nicht Nick. Er war unterwegs, aufgeregt wie ein Tourist auf Entdeckungsfahrt. Und was war das? Hunger regte sich in seinem Inneren. Er aß ein ganzes Stück Mokkakuchen, die unbekümmerte rechte Hand am Steuer, rauschte er mit siebzig, fünfundsiebzig, achtzig dahin. Hatte er jemals etwas so Köstliches gegessen? Fast hätte er auch noch das zweite angefangen. Die einfachen Dinge im Leben waren die besten, wie man sagte. Während er fuhr, summte Nick eine seltsame kleine Melodie, die Füße geschmeidig auf den Pedalen, der rechte übernahm von Zeit zu Zeit sogar vollständig. Die Wüste erstreckte sich friedlich um ihn herum, und er war schon fast in Barstow, als ihm eine Zeile des Lieds, das er summte, ungebeten in den Sinn kam:
you don’t even know
what’s buried in your yard
Was für ein Lied war das? Woher kannte er es? Wie ging der restliche Text? Sein Verstand schwieg.
Desert High School, Heimat der Rattlers. Nick fuhr auf den Parkplatz, fand eine Lücke am hinteren Ende, sah auf die Uhr: kurz nach zwei. Die Schultüren sprangen auf, und die Kinder strömten heraus, eine Explosion von Geschrei, Gelächter, Gedränge und Wurfgeschossen, von der er die Augen nicht abwenden konnte. Ein ungeheurer Überfluss an Energie, wie jene ungezähmten Fontänen in den frühen Tagen des Ölgeschäfts. Zu schade, dass er aus seinen eigenen Highschool-Tagen nichts in irgendwelchen Vorrattanks aufgehoben hatte. Die Kinder drängten sich in die Busse, sprangen in Autos, verschwanden in der Ferne. Es wurde sehr still, nur der Klang des Windes in der Wüste. Nick schloss für einen Moment die Augen.
Als er erwachte, ging die Sonne unter, entfachte ein wildes Farbspektakel, als spritzte ein impressionistischer Gott Farbtuben auf den Himmel. Nick merkte nicht, dass sich der Parkplatz füllte, bis ein Junge, auf dessen nackter Brust in Rot Vorwärts Rattlers stand, an seinem Auto vorüberlief und johlte: »Seid ihr bereit für Football?« Der Junge schwenkte eine Klapper, die genauso klang wie eine bedrohte Klapperschlange. Nick griff nach seinem Stock und stieg aus. Das seltsame Bild einer Schlange, keiner Klapperschlange, sondern einer dicken schwarzen Schlange, die aus einem Swimmingpool auftauchte, nahm in seinen Gedanken Gestalt an. Nick wartete, aber das blieb alles. Footballfans strömten vorbei. Nick folgte ihnen zum Spielfeld.
Die Rattlers spielten in Rot, Bakersfield in Blau. Nick stand hinter einer der Endzonen, sein liebster Zuschauerplatz beim Football, von hier konnte man alle Spielzüge ausgezeichnet verfolgen. Nummer 44, ein schlanker schwarzer Junge mit langen, schmalen Händen, lief rückwärts auf ihn zu, um den Eröffnungspass zu fangen. Allein an der Art, wie er lief, erkannte Nick, dass dies der Junge war, auf den man die Mannschaft zugeschnitten hatte, der beim Angriff nach vorn lief, in der Verteidigung sicherte, möglicherweise auch Kicker und Punter war, sechzig Minuten auf dem Platz. Highschool-Football glich diesen starren orientalischen Theaterformen, deren Rollen und Rituale sich niemals veränderten. Seine eigene Highschool-Mannschaft –
Nick spielte Outside Linebacker, trug die Nummer 39; eines glorreichen Abends fing er einen verirrten Pass gegen Culver City – der Ball prallte vom Boden ab und sprang in seine Hände, als besäße er einen eigenen Willen – und brachte ihn über die vierzig Yard nach Hause. Die gesamte Episode war schärfer in sein Gedächtnis gebrannt als ein Bild im National Geographic; schärfer als alles andere darin. Denk nicht darüber nach –
Seine Highschool-Mannschaft war auf Aeneas Flynn zugeschnitten gewesen, dessen Schnelligkeit – Nick hatte laut gelacht, als Aeneas beim Training das erste Mal an ihm vorbeigerast war – ihn in Höchstgeschwindigkeit den ganzen Weg bis zur Ohio State getragen hatte, wo er sich im ersten Jahr das Knie ruinierte und einen langen, langsamen Abstieg begann, der vor einigen Jahren mit einem einspaltigen Nachruf endete. Nicks eigener Nachruf, der mit Gerald Reasoners Namen im ersten
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