Ausradiert: Thriller (German Edition)
Seitentür in die Schule. Nick stapfte hinterher, folgte Wally einen langen Korridor hinunter, der nur vom mattorangen Schein weit auseinanderliegender Deckenlampen erhellt wurde. Rechts und links tauchten Vitrinen auf, Pokale schimmerten in der Dunkelheit.
»Da wären wir«, sagte Wally. Er rief den Korridor hinunter: »Welches Jahr war es noch gleich?«
Nick wusste es nicht. Als er zu Wally aufschloss, sah er die Mannschaftsfotos in senkrechten Zehnerreihen hängen, alle in vergoldeten Rahmen, ganz anders als der billige Kunststoffrahmen, in dem seines gesteckt hatte, und auf jedem war in der unteren linken Ecke das Jahr vermerkt, von 1939 bis zur Gegenwart, der Übergang von Schwarzweiß zu Farbe 1967. Nick hatte vergessen, nach dem Datum zu schauen, und merkte jetzt, dass er noch etwas vergessen hatte, etwas Grundlegendes: die Namen der Spieler zu lesen. »Aber ich werde es wiedererkennen«, sagte er; an dem Vogel, der aus dem Rahmen segelte, das Bild in Kunst verwandelte.
»Späte Vierziger oder frühe Fünfziger«, meinte Wally, »wenn mir mein Gedächtnis keinen Streich spielt.«
Nick warf Wally einen Blick zu, um festzustellen, ob der Witz beabsichtigt gewesen war, konnte es nicht sagen. Er mochte Wally, mochte ihn sehr. Er sah die Reihen durch, konnte aber auf den Fotos von 1946, 1947, 1948, 1949, 1950 keine Vögel entdecken. Moment. Das letzte war 1951, nicht 1950. Und was war das? Die Stelle, wo 1950 hätte hängen sollen, war leer, das Rechteck an der Wand heller als seine Umgebung. Er ließ den Blick über die frühen Fünfziger gleiten. Kein Vogel.
»Wo ist 1950?«, fragte Nick.
»Hä?«, machte Wally. Er glotzte auf die Lücke an der Wand, grunzte. »Keine Ahnung«, sagte er.
Nick suchte die Fotos noch einmal nach den Eastern Regional Champions ab: keine zwischen 1943 und 1957. »Es muss 1950 gewesen sein«, stellte er fest. »Wo ist es?«
»Warum nehmen Sie nicht stattdessen 1949?«, schlug Wally vor. Es drängte ihn zurück zum Spiel. »Wahrscheinlich zum größten Teil dieselben Spieler.« Er stieß mit dem Finger an das Foto von 1949. »Schauen Sie, das ist Georgie Rummel, der Junge, nach dem Sie als Erstes gefragt haben.«
Der Name sagte Nick gar nichts. Er musterte das Foto von Georgie Rummel ohne Wiedererkennen, ein großer Junge am Ende der unteren Reihe, der in die Linse starrte, als wäre der Fotograf ein alter Feind. »Ich habe mich nach ihm erkundigt?«
»Ist mir gerade wieder eingefallen«, sagte Wally. »Nicht ungewöhnlich, dass nach ihm gefragt wird. Immer noch der Beste, der je im Trikot der Desert High steckte. Hat später mit Dick Butkus gespielt.«
Dick Butkus. Nick wusste natürlich, wer Dick Butkus war; das Seltsame daran war, dass ihm bei diesem Namen wieder der barfüßige Mann im Anzug einfiel, nur dass er jetzt ein Gesicht besaß, rot, in mittleren Jahren, wütend. War der barfüßige Mann im Anzug Georgie Rummel? »Was wollte ich über ihn wissen?«, erkundigte sich Nick.
»Was er heute macht, solche Sachen«, antwortete Wally. »Soll ich es noch mal erzählen?«
»Ja.«
»Habe ich mir gedacht«, meinte Wally. »Georgie ist auf Rente, er lebt nördlich der Stadt.«
»Können Sie mir den Weg erklären?«
»Ich fahre Sie selbst hin«, bot Wally an. »Nach dem Spiel.«
Aber Nick konnte nicht warten, blieb nicht einmal höflich. Welchen Wert hatte Geduld in diesem Augenblick?
Wally zuckte die Achseln. »Er wohnt am Calico Way«, sagte er und erklärte Nick, wie man dorthin gelangte.
»Danke«, sagte Nick.
»Keine Ursache«, wehrte Wally ab. »Wissen Sie, dass Ihr Ohr blutet?«
Nick fasste an sein Ohr, musterte seine Finger in dem trüben Licht, rot verklebt, aber nicht sehr. »Ein Mückenstich«, sagte er.
Wally warf ihm einen Blick zu, den Nick mühelos entzifferte: Mücken in der Wüste?
Als Nick seinen Wagen erreichte, hatte die Blutung beinah aufgehört. Er hielt sich an Wallys Anweisungen, überquerte die 15, fuhr an einem verwitterten Schild mit der fast unleserlichen Aufschrift Silver City Ghost Town vorbei, dann an einer Bar im Westernstil und einem Getränkemarkt, bis er den Calico Way erreichte, eine Schotterstraße, die aus der Stadt führte. Nick hätte beinah die Abzweigung verpasst, sein Verstand beschäftigte sich intensiv mit dem Geisterstadtschild, beschäftigte sich, förderte aber nichts zutage.
Nick fuhr den Calico Way hinunter. Der Himmel schimmerte dunkelrot, so dunkel, wie Rot nur sein konnte. Dann ging der Mond auf, eine reinweiße
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